Schädigung und Zerstörung der Flüsse: Information allgemein

 

Allgemein

 

Flüsse sind die Adern einer lebendigen Landschaft. Frei fließende Flüsse lassen global die Ökosysteme mit der größten Artenvielfalt und Dynamik entstehen, vergleichbar tropischen Regenwäldern und Korallenriffen. Schon kleine Mittelgebirgsbäche können mehreren hundert Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum bieten. Neben dem Artenschutz bieten intakte Fließgewässer- und Auenkomplexe unter anderem einen natürlichen Hochwasserrückhalt und halten Nährstoffe und Treibhausgase zurück. Die Selbstreinigungsleistung naturnaher Gewässer ist gegenüber ausgebauten Gewässern deutlich erhöht.

Laut UN-Daten von 2017 werden weltweit bis zu 80 Prozent der Abwässer aus Siedlungsgebieten direkt und nicht über Kläranlagen in Bäche, Flüsse oder das Meer geleitet.

Wie eine am 8. Mai 2019 im Fachjournal „Nature“ veröffentlichte Studie eines großen internationalen Wissenschaftlerteams aus Mitgliedern der Naturschutzorganisation World Wide Fund for Nature (WWF) und von Forschungseinrichtungen ergab, fließt weniger als ein Viertel aller Flüsse weltweit auf der gesamten Länge ungehindert durch Staudämme oder menschengemachte Regulierungen ins Meer. Frei fließende Flüsse seien weitgehend auf abgelegene Regionen der Erde wie die Arktis, das Amazonasbecken in Südamerika und das Kongobecken in Afrika beschränkt. Unter den mehr als tausend Kilometer langen Flüssen kann nur rund ein Drittel dem von der Natur vorgegebenen Lauf folgen. Zurzeit seien mehr als 3.700 neue und große Dämme zur Wasserkraftnutzung in Planung, zum Beispiel in den Balkanstaaten, im Amazonasgebiet, vor allem aber in Asien, in China und im Himalaja. Außerdem seien etwa in Indien, China und Brasilien große Bewässerungsvorhaben geplant oder bereits im Bau, die das Ausbaggern von Flüssen, ihre Kanalisierung oder den Bau von Talsperren oder Dämmen erfordern.

Die am 10. August 2021 im Fachmagazin Global Sustainability unter dem Titel “Navigating trade-offs between dams and river conservation“ veröffentlichte Studie eines internationalen Forscherteams und der Naturschutzorganisation WWF kommt zu dem Ergebnis, dass über 260.000 Kilometer frei fließender Flüsse durch den geplanten Bau neuer Wasserkraftwerke gefährdet sind. Das entspricht der 39-fachen Länge des Nils, dem mit 6650 km längsten Strom der Erde. Zugleich könnten jedoch mit den neuen Anlagen gerade einmal zwei Prozent des Strom aus erneuerbaren Energie erzeugt werden, der bis 2050 benötigt wird, um den globalen Temperaturanstieg unter 1,5⁰ C zu halten. Weltweit gibt es laut WWF etwa 60.000 große Staudämme, und mehr als 3.700 weitere sind geplant oder im Bau.

Der World Fish Migration Foundation zufolge, einer Gemeinschaftsinitiative mehrerer Naturschutzorganisationen, befinden sich in ganz Europa etwa 1,2 Millionen Wehre oder Staumauern. Auf alle 1,35 Flusskilometer kommt nach diesen Schätzungen eine künstliche Sperre. Die meisten davon, etwa 225.000, liegen in Deutschland, rund 172.000 in der Schweiz und rund 171.000 in Spanien. Laut World Fish Migration Foundation werden mindestens 150.000 davon nicht mehr benutzt. Spanien hat im Jahr 2021 108 Sperrwerke abgerissen (Deutschland im selben Zeitraum lediglich zwei).

Eine am 16. Juni 2021 im Fachjournal „Nature“ veröffentlichte Studie zeigt, dass 51 bis 60 Prozent aller Flüsse weltweit an mindestens einem Tag im Jahr kein Wasser führen. In besonders trockenen Gebieten der Erde, etwa in Teilen Indiens, in Westaustralien oder der afrikanischen Sahelzone, sind es den Forschern zufolge sogar 99 Prozent der Fließgewässer. Auch in den kühlgemäßigten und feuchten Klimazonen trocknen demnach fast 30 Prozent der Fließgewässer immer wieder aus. Betroffen sind den Forschern zufolge aber auch große Flüsse, etwa der Nil, der Gelbe Fluss in China oder der Rio Grande in Nordamerika. „Dies kann zu einem erschwerten Wasserzugang für Millionen von Menschen führen und hat tiefgreifende Auswirkungen auf das Ökosystem Fluss“, sagt Ko-Autor Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Insgesamt wertete das Team die hydrologischen, klimatischen, bodenkundlichen und geologischen Daten von 5615 Messstationen weltweit aus.

Chemische Substanzen belasten Europas Flüsse stärker als gedacht. Das fanden Forscher des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und der Universität Koblenz-Landau zusammen mit Wissenschaftlern aus Frankreich und der Schweiz heraus. Die Belastung sei so hoch, dass die von den EU-Mitgliedsstaaten bis 2015 angepeilte Verbesserung der Wasserqualität (siehe unten) wohl nicht erreicht werde. Hauptverursacher der Belastung seien Landwirtschaft und Kläranlagen. Die stärkste Belastung komme von Pestiziden. Die chemische Belastung stellt so das Ergebnis für rund die Hälfte der Gewässer ein ökologisches Risiko dar. Bei 15 Prozent könnten sogar akut toxische Effekte auf Gewässerorganismen auftreten. (Frankfurter Rundschau vom 20. Juni 2014) Nicht nur in den Meeren, sondern auch in den Binnengewässern werden der Plastikmüll und insbesondere die Mikroplastikteilchen zusehends zum Problem. Eine im Fachjournal „Environmental Pollution“ veröffentlichte Studie zeigte beispielsweise, dass in der Donau stellenweise mehr Plastikpartikel als Fischlarven treiben.

Mikroplastik belastet nicht nur die Weltmeere, sondern auch die Fließgewässer. Dies zeigt eine im März 2018 veröffentlichte Untersuchung, für die Daten aus den fünf Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen ausgewertet wurden. Insgesamt haben die Forscher weit über 4.000 Plastikpartikel in den fünfzig Proben gefunden. Große Plastikstücke waren dabei die Ausnahme: 99 Prozent der Partikel waren im Durchmesser kleiner als fünf Millimeter. Fast zwei Drittel davon waren sogar sehr kleines Mikroplastik: Teilchen von nur 0,002 bis 0,3 Millimetern im Durchmesser. In der großen Mehrheit handelte es sich dabei wohl um Bruchstücke von größerem Plastik. An fast allen Messstellen wurden aber auch große Mengen an Plastikfasern festgestellt, wie sie beispielsweise bei jeder Wäsche von Funktionskleidung freigesetzt werden.

In vielen Flüssen findet sich eine gefährlich hohe Konzentration von Antibiotika. Zu diesem Ergebnis kommt eine Forschungsarbeit der Universität York. Die Wissenschaftler testeten Flüsse in 72 Ländern auf 14 gebräuchliche Mittel. Die größten Antibiotikamengen fanden sie in Flusswasserproben aus Bangladesch, Kenia, Ghana, Pakistan und Nigeria. In Bangladesch wurde der Grenzwert von Metronidazol, einem Antibiotikum, das gegen Harnwegsinfekte eingesetzt wird, um das Dreihundertfache überschritten. In der als sauber geltenden Themse fanden die Forscher fünf verschiedene Antibiotika. In Proben aus der Donau sieben, darunter Clarithromycin, dessen Konzentration die Grenzwerte um das Vierfache überstieg. Als Ursachen gelten mangelnde Abwasserreinigung, wenig regulierte Müllentsorgung und übermäßiger Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung. (Quelle: Publik-Forum Nr. 14/2019 vom 26. Juli 2019)

Der Bericht „Freshwater quality“ der Europäischen Umweltagentur vom 18. Februar 2015 bestätigt, dass 60 Prozent der europäischen Flüsse nicht einmal mehr minimalen ökologischen Standards entsprechen.

In Deutschland sind nur zehn Prozent der Flüsse noch unberührt. Laut Schätzungen haben Flüsse in Deutschland nur noch 20 Prozent der ursprünglichen Überschwemmungsgebiete. Sie wurden eingedeicht, die Auen sind dadurch abgeschnitten, flussnahe Zonen machte man zu Baugebieten, Straßen, Äckern und Weiden. Die Einschnürung der Flüsse beschleunigte und erhöhte zudem die Hochwasser. So hat sich die Fließgeschwindigkeit zum Beispiel des Rheins dramatisch erhöht. Von Basel bis Karlsruhe braucht er heute rund 30 Stunden, 1955 waren es noch 65. Umso stärker können sich Wassermassen “auftürmen”, wenn etwa Hochwasserwellen aus den Nebenflüssen mit denen des Rheins zusammentreffen. Laut Umweltbundesamt (UBA) erreichen nicht einmal zehn Prozent der Flüsse in Deutschland die Werte der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Anvisiert hatte man bis Ende 2015 eigentlich 18 Prozent. Hauptgrund für das schlechte Abschneiden ist nicht die Wasserverschmutzung, sondern die hohe Dichte von Wehren in den Flüssen (im Schnitt alle zwei Kilometer). Die mehr als 400 Kilometer lange Elbe ist der längste nicht verbaute Fluss in ganz Deutschland.

Die wenigsten Flüsse und Bäche in Deutschland sind ökologisch in gutem Zustand. In mehr als 93 Prozent der insgesamt 8995 Flüsse führten leben nicht mehr die Gemeinschaften aus Fischen, Pflanzen und Kleintieren, die man dort eigentlich vorfinden müsste. Zudem seien 79 Prozent der Fließgewässer durch Ausbau „in ihrer Struktur deutlich bis vollständig verändert“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen vom März 2018. Nur 6,6 Prozent der bewerteten Fließgewässer-Abschnitte sind nach EU-Kriterien ökologisch in gutem Zustand, gerade mal 0,1 Prozent in sehr gutem Zustand, heißt es weiter. Obwohl sich die Wasserqualität zuletzt sehr verbessert habe, gehörten Gewässer und Auen weiter zu den bedrohten Lebensräumen in Deutschland, schreibt das Bundesumweltministerium.

Die meisten Flüsse, Bäche und Seen in Deutschland befinden sich in keinem guten Zustand. Das geht aus dem neuen Wasseratlas der Umweltorganisation WWF hervor, der am 5. November 2018 in Berlin vorgestellt wurde.

Laut dem am 16. Mai 2018 veröffentlichten BUND-Gewässerreport 2018, der auf Daten des Umweltbundesamtes basiert, sind 92 Prozent aller Flüsse und Seen in Deutschland in einem alarmierend schlechten Zustand. Seit 1954 wurden den Angaben des BUND zufolge rund 45 Milliarden Euro in die Entwässerung, Begradigung und Ausbau von Flüssen in Deutschland investiert. Heute gebe es allein an den Bundeswasserstraßen 340 Stauanlagen und an jedem Fließgewässer bundesweit durchschnittlich alle zwei Kilometer ein Wehr oder eine Schleuse. Diese bremsten die natürliche Fließgeschwindigkeit und blockierten den Lebensraum von Fischen. Die Fehler der Vergangenheit wieder gut zu machen, sei eine gewaltige Aufgabe, für die mehr Geld und mehr Personal in den zuständigen Behörden gebraucht werde.

Staudämme gehören zu den schlimmsten Eingriffen in die Natur. Sie zerstören die Lebensadern des Planeten. Die Internationale Kommission für große Talsperren (ICOLD) in Paris zählt derzeit (2021) mehr als 58.000 Staudämme. Weltweit herrscht ein regelrechter Boom beim Bau neuer, immer größerer Staudämme, insbesondere zur Stromgewinnung. Ein Team um Christiane Zarfl vom Zentrum für Angewandte Geowissenschaften der Uni Tübingen hat in einer Datenbank mehr als 3700 mittlere und große Wasserkraftwerke zusammengetragen, die sich in Planung oder bereits im Bau befinden. Einer der ältesten bekannten Staudämme der Welt ist die römische Proserpina-Talsperre in Südwestspanien, gebaut zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr.

Wie aus einem am 28. Juli 2020 veröffentlichten Bericht über den globalen Zustand von 247 Arten wandernder Süßwasserfische hervorgeht, sind seit 1970 1406 untersuchte Bestände wandernder Süßwasserfischarten weltweit um durchschnittlich 76 Prozent zurückgegangen. In Europa liegt der Rückgang sogar bei 93 Prozent. Erstellt wurde der Report von der World Fish Migration Foundation, der Zoological Society of London (ZSL), dem World Wide Found For Nature (WWF) und weiteren Partnern. Den starken Rückgang in Europa um 93 Prozent verknüpfen die Autorinnen und Autoren von „The Living Planet Index (LPI) For Migratory Freshwater Fish” hauptsächlich mit der weit fortgeschrittenen Verbauung und Veränderung der europäischen Flüsse. Wandernde Fische sind darauf angewiesen, zum Laichen weite Strecken zurückzulegen.

Allgemeines  über „Flüsse – Arterien der Natur, Lebensadern unseres Planeten / Flussdeltas“ finden Sie hier.

 

Literatur:

Film:

  • „River“, ein australischer Dokumentarfilm aus dem Jahr 2021 über die Beziehung von Menschen und Flüssen (Regie: Jennifer Peedom, Joseph Nizeti); er erschien in Deutschland am 21. April 2022.

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