Zum 1. Januar 1804

Jean-Jacques Dessalines verkündet die Unabhängigkeit des neuen Staates Haiti, des ersten Landes Lateinamerikas, das sich von den Fesseln der Unterdrückung befreit hat.

Als die Nachrichten über die Französische Revolution und ihre neuen Prinzipien „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ an die offenen Ohren der Sklaven drangen, begannen sie ihre Guerillataktik und schlugen unter der Führung des ehemaligen Sklaven Toussaint Louverture die eingreifenden Engländer und Franzosen (vgl. 23. August 1791). In Gonaïve wurde am 1. Januar 1804 die Unabhängigkeit von Frankreich proklamiert, und Cap Haïtien war der erste Hafen, der von den Ex-Sklaven freigekämpft wurde.

Dieser erste und bis zur Abschaffung der Sklaverei einzige erfolgreiche Sklavenaufstand der Neuen Welt war ein Schock für die Großmächte der Kolonialzeit, die ihren Reichtum auf der Sklaverei gegründet hatten. Dass die Europäer nie verziehen haben, dass ihre stolzen Heere von den Sklaven aus Haiti geschlagen wurden, ist wohl die Erklärung dafür, warum diese Widerstandsgeschichte totgeschwiegen wird.

Allerdings trägt Frankreich eine große Verantwortung für die elende Situation der Menschen in Haiti. Denn nach der Unabhängigkeit bedrohte das „Mutterland der Menschenrechte“ 20 Jahre lang die junge haitianische Republik mit ständigen Einmarschplänen, blockierte die haitianischen Häfen und ließ davon erst 1825 ab, als sich Haiti verpflichtete, die gigantische Summe von 90 Millionen Goldfrancs zu zahlen – nach heutigem Wert acht Milliarden Euro –, damit sie ihre reiche Exkolonie in Ruhe ließen. Bei der Abstotterung dieses Betrages verarmte Haiti komplett. An dieser Schuldenlast trägt das Land heute noch, weshalb der ehemalige Präsident Aristide während der bereits chaotisch verlaufenden Unabhängigkeitsfeiern im Jahr 2004 von Frankreich die Rückzahlung von 21.685.155.571,48 US-Dollar verlangte – eine utopische, aus Zins und Zinseszins errechnete Summe, über die Paris natürlich nicht redet.

Haiti ist in einer Krisenlage entstanden. Es erlangte seine Unabhängigkeit durch den Sieg über die mächtigste Armee jener Zeit. Als erstes Land des Südens hat es das Projekt der Aufklärung – Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – radikalisiert und eine auf dem transatlantischen Sklavenhandel gegründete Modernität in Frage gestellt. Haiti wurde zu einem Modell, das man von außen mit einem Embargo und einer repressiven Schuldenpolitik bekämpfte.“ (Die Schriftstellerin Yanick Lahens in einem Gespräch mit Andrea Pollmeier, Frankfurter Rundschau vom 1. November 2021)

Nach der Unabhängigkeit traten die neuen Eliten in gewisser Weise das ideelle Erbe der alten Eliten an, die sie gerade vertrieben hatten: Sie rangen um die Macht, aber nicht im Interesse des Landes, sondern in ihrem eigenen.


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