Flechten

Vor rund 450 Millionen Jahren begannen Pflanzen, das Land zu besiedeln. Neben Moosen und Farnen gehören FLECHTEN zu den ältesten Pflanzenarten auf der Erde und haben sich einen gewaltigen Lebensraum erobert. Nach heutiger Auffassung haben sie sich vor etwa 400 bis 450 Millionen Jahren aus Grünalgen der Gezeitenzone entwickelt. Der Gastgeber, meist ein Schlauchpilz, versorgt „seine“ Grün- oder Blaualgen mit Wasser, Mineralstoffen und Kohlendioxid, bietet ihnen Schutz vor UV-Strahlung, Austrocknung und Tierfraß. Im Gegenzug werden bis zu 40 Prozent der von den Algen über Photosynthese hergestellten Kohlenhydrate an den Pilz abgegeben.

Erst im tristen Grau des Winters wird die große Vielfalt und farbige Schönheit der Flechten deutlich. Mit einem bunten Kleid überziehen sie Steine, Dächer, den Holzlattenzaun und die Rinde der Bäume. Als wahre Überlebenskünstler besitzen sie die Eigenschaft, nach schnellem Austrocknen bei einem geringen Wassergehalt von zwei bis zehn Prozent nicht abzusterben. Selbst glühende Hitze und arktische Kälte überstehen manche von ihnen schadlos.

Flechten sind eine Besonderheit in der Botanik. Die Lebensgemeinschaften aus Pilz-, Bakterien- und Algenarten nehmen Wasser und Nährstoffe direkt über ihre Oberfläche auf. Flechten sind an der Bodenbildung beteiligt. Auf Gesteinen schließen sie mit ihren Säureausscheidungen einige Mineralien auf und machen sie dadurch für höhere Pflanzen verfügbar. Einige enthalten sogar Bakterien, die dem Boden pflanzenverfügbaren Stickstoff zuführen.

In Deutschland sind 2010 Flechtenarten mit ganz unterschiedlichen Formen und Farben bekannt, weltweit sind rund 25.000 Flechtenarten beschrieben.

Flechten gelten als Zeigerorganismen für bestimmte Umweltbedingungen, insbesondere die Luftqualität. Dies liegt daran, dass das Zusammenleben zwischen Pilz und Alge leicht gestört werden kann. Die in Luft und Regen enthaltenen Nähr- und Schadstoffe werden nahezu ungefiltert aufgenommen, da Flechten keine speziellen Organe zur Wasseraufnahme aus dem Boden besitzen und über den gesamten Thallus Feuchtigkeit aufnehmen. Daher reagieren sie besonders empfindlich auf Luftverschmutzung. Die ersten Berichte über eine massive Verarmung der Flechtenvegetation im Bereich industrialisierter Städte stammen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, lange bevor Waldsterben und saurer Regen ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerieten. Als Hauptursache konnte der erhöhte Schwefeldioxid-Gehalt der Luft identifiziert werden.

Um auf die zunehmende Gefährdung der Flechten und ihre Bedeutung hingewiesen werden, wurde im Jahr 2004 durch die Bryologisch-lichenologische Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa (BLAM) erstmals die Flechte des Jahres ausgerufen. Flechte des Jahres 2024 ist das Schöne Muschelschüppchen.


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