Empathie

EMPATHIE bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Emotionen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden.

Hühner sind zu einer rudimentären Form von Empathie fähig, haben britische Forscher entdeckt: Ist ihr Küken gestresst, reagiert die Glucke mit Herzrasen und anderen Anzeichen für eine Stressreaktion. Offenbar merkt die Mutter sofort, dass mit dem Nachwuchs etwas nicht stimmt, folgern die Wissenschaftler. Damit erfüllen Hühner die Grundvoraussetzung für Empathie: Die emotionale Verfassung des Kükens beeinflusst die Mutter, die daraufhin ähnliche Verhaltensweisen aktiviert. Alle anderen Formen des Einfühlungsvermögens scheinen auf diesem emotionalen Verständnis zwischen Mutter und Kind aufzubauen.

In der Nacht gab es ein schreckliches Gewitter über dem Dorf. Es blitzte und donnerte und regnete in Strömen. Alle im Haus wurden wach.
Ich sprang aus meinem Bett und wollte mich an Opa kuscheln. Da dachte ich plötzlich an die armen Küken. Sie hatten ja kein Dach über dem Kopf.
Obwohl ich Angst hatte, lief ich nach unten, um sie alle in den Stall zu bringen.
Als es wieder einmal blitzte, sah ich: Die Küken waren gar nicht da. Nur ihre Mutter, die Henne, stand im strömenden Regen, aufgeplustert und ganz nass.
Ich lief sofort zu Oma und Opa und rief laut. „Oma; Opa, die Küken sind weg. Nicht ein einziges ist mehr da.“
Oma kam sofort angelaufen. Sie hatte eine Petroleumlampe in der Hand.
Es stimmte, was ich gesagt hatte: Die Küken waren nicht da, nur die Henne. Eine ganz aufgeplusterte Henne.
Sie bewegte sich nicht vom Fleck. Obwohl es so schrecklich regnete, blitzte und donnerte.
Und dann… dann merkten wir plötzlich, warum sie sich nicht bewegte. Stellt euch vor: Alle Küken waren unter die Henne gekrochen. Alle zehn kuschelten sich unter ihre Flügel.
Ich konnte es kaum glauben. Und Oma erst recht nicht. Dass eine Henne eine so liebevolle Mutter sein kann – das hätten wir nicht einmal im Traum gedacht.

(Aus: Dimiter Inkiow, Mein Opa, sein Esel und ich, Erika Klopp Verlag, Berlin 1990, S. 48–50)

Zweiter Sonntag im Mai: Muttertag


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