Kapitel 51

RICHTIG LEBEN – HIER UND JETZT

DIE WELT-RELIGION JESU

BASISKURS BASILEIOLOGIE

 

 

Das jesuanische Evangelium vom guten, richtigen Leben – eine WeltReligion

 

Das richtige, das gute Leben – „Buen Vivir“, „Ubuntu“, „Teilhabe am Reich Gottes“ – ist möglich. „Kommt, denn es ist schon bereit.“ „Siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ Sein „Sauerteig“ lässt eine entfremdete Welt zu unserer Mitwelt, zu unserer Heimat werden. Jetzt leben wir wirklich, durchaus auf die Erfüllung unserer eigenen Bedürfnisse bedacht, aber nicht mehr selbst-, sondern weltbezogen – so ähnlich, wie es uns, als wir Kinder waren und noch Kinder sein durften, einmal ganz selbstverständlich war.

Die Erde ist keine Durchgangsstation mehr zu einem höheren Ziel. Sie ist aber auch kein Monopoly-Spielbrett, in dem es zu gewinnen, im Konkurrenzkampf zu bestehen, andere zu übervorteilen, sich so viel wie möglich anzueignen und den größtmöglichen Luxus zu entfalten gilt. „Einer wird gewinnen“, „Wer wird Millionär?“, die Ziehung der Lottozahlen – für viele immer noch Highlight und Lebenstraum – sind jetzt nur noch Attribute des Alten und Falschen, aber auch all das, was daraus erwächst: gigantischer Reichtum auf der einen, furchtbares Elend auf der anderen Seite, eine schier unfassbare, ungeheuerliche Menge an militärischer Rüstung – und ihr Einsatz! – weltweit, die Ausbeutung und Verelendung so vieler Menschen, die Vernachlässigung der Kinder, die Qual der Tiere, die immer noch weiter fortschreitende Zerstörung unserer Lebensgrundlagen selbst.

Ja, dies alles geschieht noch immer, oft sogar in zunehmendem Maße – trotz allen Wissens, trotz aller objektiven, kaum zu bestreitenden Fakten. Diese erreichen uns offensichtlich nicht wirklich, sind nicht in der Lage, die notwendigen Veränderungen anzustoßen. Sie ändern nichts an der Entfremdung, an dem manipulierten und deshalb manipulativen Kompass, dessen Nadel auf die Bedürfnisse einer kapitalistischen Ökonomie ausgerichtet ist, anstatt uns darin zu unterstützen, die Orientierung an der Ökonomie des Genug für alle nicht zu verlieren.

Doch jetzt ist ein allumfassender Reset dieses Kompasses möglich. Nichts anderes will die Botschaft Jesu bewirken. Jetzt treten wir mit der Reich-Gottes-Struktur der Welt in Kontakt, dem Zueinander und Miteinander, der empfindlichen, gefährdeten, oft verletzen, aber so unendlich kostbaren Balance all ihrer Erscheinungsformen, zu denen auch wir selbst eine Zeitlang gehören. Aus einer uns fremd gewordenen Außenwelt wird wieder unsere Mitwelt. Das, was wir verspüren, wenn wir diesen Schatz gehoben haben, ruft eine Freude hervor, die tiefer nicht sein könnte. Eine neue Existenzweise, ja ein neues Leben hat begonnen. Und es ist eine revolutionäre Freude. Wir werden die Verwüstung der Welt durch die Reichen und Mächtigen jetzt nicht mehr hinnehmen, wir werden nicht länger Handlanger:innen des Falschen und Zerstörerischen sein, weil sich unsere Daseinsorientierung von Grund auf erneuert hat. Wie derjenige genannt werden könnte, auf den diese Lebenswende letztlich zurückgeht, sind auch wir jetzt zu Erdmatriot:innen geworden (Kapitel 17).

Im Acker lag jener Schatz in dem Gleichnis Jesu, in der Erde. Aus der Erde sind wir hervorgegangen, zu ihr wird unser Körper einmal wieder werden, mit ihr sind wir Zeit unseres Lebens aufs engste verbunden. Es tut uns gut, die Erde unter unseren Füßen zu spüren, es tut uns gut, Erde in die Hand zu nehmen, zu pflanzen und zu ernten. Durch die Nahrung, die sie uns zur Verfügung stellt, kommunizieren wir ganz unmittelbar mit ihr. Die Erde hat genug für jeden Menschen, niemand müsste hungern, und sie hat genug Gutes, Bekömmliches und Gesundes. Jede Mahlzeit – ein Fest unserer Erdverbundenheit. Genießen wir unsere biologischen, vielleicht sogar von uns selbst, zumindest aber unter fairen Bedingungen hergestellten Lebensmittel. So schmecken wir wirklich, was Erde bedeutet. Und es schmerzt, wenn sie mit Pestiziden vergiftet, durch Siedlungs- und Straßenbau immer noch weiter luft- und wasserdicht versiegelt wird. Wir können es nicht mehr hinnehmen, dass riesige Flächen durch Rohstoffabbau abgetragen und oftmals durch giftige Chemikalien kontaminiert werden. Entheiligen, entweihen würden wir sie, wenn wir zuließen, dass sie zu einem Müllplatz degradiert wird.

Trinken wir jeden Tag mindestens einmal – nicht abgelenkt, in voller Konzentration – ein Glas Wasser! Genießen wir dieses Lebenselixier schlechthin, diesen Grundbaustein allen Lebens. 70 Prozent unseres Körpers bestehen daraus. Wasser belebt uns, Wasser reinigt uns. Es ist ein heiliges, ein göttliches Element. Sein Strömen, sein Gurgeln und Glucksen, sein Rauschen und Branden erfüllen uns mit Kraft und Freude. Ihr eigenes Bett sollen die Flüsse behalten, frei fließen sollen sie. Zu ihren Wächter:innen werden wir und zu Anwält:innen der Meere, damit sie nicht ganz und gar leergefischt werden, zu einem immer gigantischeren Schuttabladeplatz verkommen, in dem die Plastikteilchen die Zahl der Fische übersteigen, damit nicht auch noch der Meeres, ja selbst der Tiefseeboden abgetragen wird, nur um die Dividenden der Aktionär:innen großer Bergbauunternehmen immer noch weiter zu steigern.

Atmen wir immer wieder einmal mit unserem ganzen Körper die Luft, die uns umgibt und durch die wir leben, ein und wieder aus. Ununterbrochen, unser Leben lang, von unserem ersten bis zu unserem letzten Atemzug, sind wir nicht nur von ihr umgeben, sondern kommunizieren jede Sekunde mit der Luft, diesem göttlichen Lebensodem, der uns überhaupt nur leben lässt. Rein, unbelastet soll sie sein, muss sie sein – unserer eigenen Würde wegen. Wir werden nicht mehr davon absehen, wenn wir Energie verbrauchen, wenn wir uns fortbewegen, wenn wir konsumieren.

Ein nicht nur in Corona-Zeiten blauer, nicht durch Kondensstreifen verschmierter und zerschrammter Himmel soll über uns sein (Kapitel 49), und wie schön wäre es, wenn er keinen Raketenschrott enthalten würde (150 Millionen größere und kleinere Teile sind es bereits). Des Nachts möchten wir die Sterne sehen können. Tiere sollen soweit irgend möglich leben können, wie es ihrer Art entspricht. Alle Menschen – ohne jede Ausnahme – sind unsere Geschwister, und die Kinder – unsere besten Lehrmeister:innen für das Reich Gottes! – sollen sich auf unsere ganz besondere Achtung und Fürsorge verlassen können. Alle Menschen sollen sicher und in Würde leben können – auch um unserer eigenen Lebensfreude willen. Ausbeutung, Gewalt und Krieg haben keinen Platz mehr in einer Welt, wenn wir Menschen sie nicht mehr von außen betrachten, sondern als unsere Mitwelt wahrnehmen. So werden wir – alle Entfremdungen durchschauend und trotz aller durch sie hervorgerufenen, oft so furchtbaren Verletzungen in der Vergangenheit und auch heute noch – des Großen Segens inne, der uns umhüllt und birgt, uns das richtige und das gute Leben wiederfinden lässt und damit teilhaben an dem, was Jesus das Reich Gottes nannte.

 

Die Grundstrukturen eines guten und richtigen Lebens

 

Konzentriert zusammengefasst und auf den Punkt gebracht, erinnern uns die Worte Jesu an und schärfen unseren Blick für genau das, was ein gutes und richtiges und somit seligmachendes Leben letztlich ausmacht:

„Selig sind die Armen, denn ihrer ist das Reich Gottes.“ Von entscheidender Bedeutung und deshalb an erster Stelle zu nennen ist die Freude am Genug. Nicht zu wenig und nicht zu viel, also ein Leben im Einklang mit der Welt, das ist der Schlüssel zum Glück beziehungsweise zu dem, was Jesus die Teilhabe am „Reich Gottes“ nannte. Es ist der Schlüssel zu Gerechtigkeit und Frieden: Jeder Mensch auf der Erde muss und soll über das verfügen, was er braucht. Und es ist der Schlüssel zum Genuss, denn dieses zum Leben sowohl Nötige als auch Ausreichende sollte die höchstmögliche Qualität aufweisen: gute, das heißt in biologischer, in ökologischer sowie in sozialer Hinsicht unbelastete Nahrungsmittel, eine gut ausgestattete, schön eingerichtete Wohnung in einem lebenswerten Umfeld, passende, hochwertige, haltbare Kleidung und so weiter. Und immer sollte genug Zeit sein, um alles Schöne auch genießen und um alles, was getan werden muss, auch tun zu können. Und am Ende des Lebens sollte es dann genug und damit alles ganz und gar gut sein.

Was aber ist wahrscheinlich der tiefste Grund der Befriedigung, mit dem gerade das Genug uns beschenkt, beziehungsweise der Freude, ja der Begeisterung, die es auslöst? Es muss mit dem einzigartig intakten und lebendigen Weltbezug zusammenhängen, den allein das Genug ermöglicht. Nur wenn wir keinesfalls mehr von der Welt für uns beanspruchen, als wir brauchen, und nur, wenn wir über dieses Nötige auch verfügen, sind wir mit der Welt im Reinen. Nur dann kann sie uns wirklich erfreuen. Sie bleibt uns ja nichts schuldig, und wir wollen nicht immer und immer noch mehr von ihr sehen und besitzen. Ganz im Gegenteil: Jetzt wollen wir ihre Schönheit und Harmonie unter allen Umständen bewahren und werden alles daransetzen, dass dies auch geschieht. Sie und insbesondere die Menschen, die uns dieses Genug gewähren und es sichern, sind uns eben deshalb nicht mehr fremd, sondern vertraut. Die Welt ist nicht mehr ungenießbares Mehl, sondern durch den Sauerteig des Genug zu Brot geworden.

Nichts aber kann unsere Freude am Genug und der damit aufs Engste verflochtenen Freude an der Welt, sofern sie ist, wie sie sein sollte, durchgreifender bestärken und erneuern als unsere Freude an den Kindern – sofern sie denn noch Kinder sind und Kinder sein dürfen: „Ihrer ist das Reich Gottes“. Als solche Kinder also, die von den Schrecken, die Menschen in die Welt gebracht haben und immer noch bringen, hoffentlich noch gänzlich unbelastet sind, als Kinder, deren Bedürfnisse wahrgenommen und unter allen Umständen erfüllt werden – vielleicht das Allerwichtigste, was in der Welt zu geschehen hat –, sind sie unsere Lehrmeister für eine Existenz im Reich Gottes. Mit jedem in das Genug geradezu verliebten Kind, mit seiner Lebendigkeit, seiner Aufmerksamkeit, seinem kommunikativen und kooperativen Verhalten erneuert sich die Welt. Und es beschenkt auch uns mit der Möglichkeit, sie gleichsam mit den Augen eines Kindes noch einmal ganz neu wahrzunehmen. Bewahren wir uns diese Perspektive, nehmen wir die Welt so an wie ein Kind, haben wir teil am richtigen Leben – und wir tragen zu unserem kleinen Teil dazu bei, dass die Welt so ist, wie sie sein soll.

Claus Petersen

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