Schädigung und Zerstörung der Flüsse: Information: betroffene Flüsse

 

Betroffene Flüsse

 

Am 23. Juli 2019 begann die neunte Elbvertiefung und damit eine der größten Flussbaumaßnahmen weltweit: Künftig sollen Schiffe mit einem Tiefgang von 13,50 Meter unabhängig von Ebbe und Flut den Hamburger Hafen erreichen. Zudem wird die Fahrrinne verbreitert, damit der Fluss in beide Richtungen befahren werden kann. Dabei werden bis zu 40 Millionen Kubikmeter Baggergut bewegt. Die Bauarbeiten sollen im Jahr 2021 abgeschlossen sein. Am 4. Juli 2020 scheiterten die im Aktionsbündnis „Lebendige Tideelbe“ zusammengeschlossenen Umweltschutzverbände mit einer Klage gegen die ergänzten Planungen für das Großprojekt, damit steht dem Ausbau der Elbe juristisch nichts mehr im Wege.

Die Oder ist einer der letzten großen naturnahen Flüsse Mitteleuropas; sie fließt in ihrem Unterlauf entlang der polnisch-deutschen Grenze durch ausgedehnte Überflutungsauen. Der von der Bundesrepublik und der Republik Polen im Jahr 2015 vereinbarte Ausbau der Grenzoder sieht eine Einengung des Flusses und die Befestigung seiner Ufer vor. Dies würde zum Verlust der flusstypischen Dynamik, wertvoller Lebensräume und zahlreicher Arten führen. Zehn deutsche Umwelt- und Naturschutzorganisationen haben sich im Aktionsbündnis lebendige Oder“ zusammengeschlossen. Es kooperiert mit polnischen und tschechischen Naturschutzverbänden in der Koalition „Zeit für die Oder“. Gemeinsames Ziel ist es, grenzübergreifend die Flusslandschaft der natürlichen Oder zu erhalten und nachhaltig zu nutzen. Der WWF-Deutschland sprach sich anlässlich des Internationalen Aktionstages für Flüsse am 14. März 2022 für den Stopp des Mitte Februar auf polnischer Seite begonnenen Ausbaus der Oder aus. Anlässlich einer länderübergreifenden Konferenz am 5. Mai 2022 warnte der WWF vor dem Ausbau. Wie der WWF am 20. Dezember 2022 mitteilte, ist die Genehmigung des Oder-Ausbaus auf polnischer Seite durch eine polnische Verwaltungsgerichtsentscheidung zu einer Klage von Umweltverbänden vorläufig gestoppt worden.

Der Balkan besitzt die letzten wirklich wilden, unberührten Flüsse in ganz Europa. Jetzt sind dort etwa 2800 Wasserkraftwerke geplant oder im Bau. Nähere Informationen finden Sie hier.
Die Vjosa in Albanien, Umweltschützerinnen und Umweltschützern zufolge Europas letzter noch wirklich wilder Fluss, ist durch ein Staudammprojekt in akuter Gefahr. Bislang fließt er von seiner Quelle im griechischen Pindosgebirge bis zur Mündung im Mittelmeer ungestört von menschlichen Einflüssen.
Am 13. Juni 2022 unterzeichnete die albanische Regierung eine Absichtserklärung zur Errichtung des ersten Wildflussnationalparks Europas, der die Vjosa und ihre frei fließenden Nebenflüsse unter Schutz stellen sollte. Damit ging ein langwieriger Kampf zwischen Umweltschutz-NGOs und der Wasserkraftindustrie zu Ende. Am 15. März 2023 erklärte die albanische Regierung den gesamten auf albanischem Staatsgebiet liegenden Teil der Vjosa zum Nationalpark. Bei einer Größe von 12.727 Hektar umfasst er die Wasserfläche von Vjosa, Bënça, Drino und Shushica, die Ufer und die Flussufer.

In Polen ist an der Weichsel bei Siarzewo ein riesiger Staudamm geplant. Er soll der Stromerzeugung dienen, ist aber insbesondere auch ein Kernstück für den Ausbau der E 40-Wasserstrasse, mit der eine 2000 Kilometer lange, für große Frachtschiffe befahrbare Verbindung zwischen Ostsee und Schwarzem Meer geschaffen werden soll. Sie würde Polesien, eine landschaftlich eine weit ausgedehnte, waldreiche Flussniederung und das größte intakte Feuchtgebiet Europas durchschneiden und großräumige Schäden verursachen.

Am 20. Februar 2022 ist der 1,8 Kilometer lange und 145 Meter hohe „Grand Ethiopian Renaissance Dam“ (Gerd), der „Große Äthiopische Renaissance-Damm“ am Blauen Nil , das mit Abstand größte Staudammprojekt Afrikas, eröffnet worden.

Am Tigris im Südosten des Landes hat die türkische Regierung ihr derzeit größtes Wasserkraftwerk fertiggestellt: das Ilisu-Staubecken mit einem Volumen von mehr als zehn Milliarden Kubikmetern. Aufgrund seiner gravierenden sozialen, menschenrechtlichen, ökologischen, kulturellen und friedenspolitischen Auswirkungen war er zu einem der umstrittensten Infrastrukturprojekte der internationalen Finanzwelt geworden. In einem weltweit einmaligen Schritt hatten die Regierungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz am 7. Juli 2009 Hermesbürgschaften für das Projekt zurückgezogen, nachdem die türkische Seite daran geknüpfte Auflagen zu Umsiedlung, Umwelt- und Kulturgüterschutz nicht erfüllt hatte (in Deutschland ist es das erste Mal, dass eine staatliche Hermes-Bürgschaft mit Verweis auf international vereinbarte Umwelt- und Nachhaltigkeitsstandards gestoppt wurde). Doch es mehrten sich die Anzeichen, dass die türkische Regierung das Projekt nun mit Hilfe türkischer Banken verwirklichen wollte. Ursprünglich sollte am 10. Juni 2019 damit begonnen werden, das Wasser aufzustauen. Die Flutung wurde allerdings zunächst noch aufgeschoben. Seit Herbst 2019 jedoch staut der gigantische Ilisu-Damm den Tigris. Die Folgen sind dramatisch.

Der am 5. Mai 2016 nach fünf Jahren Bauzeit eröffnete Belo Monte-Staudamms am Xingu, einem wichtigen Zufluss des Amazonas, ist nach dem Itaipú-Kraftwerk zwischen Brasilien und Paraguay, der Xiluodu-Talsperre und dem Drei-Schluchten-Staudamm in China das viertgrößte Wasserkraftwerk der Welt. Wenn im Jahr 2019 alle 24 Turbinen laufen, soll das Kraftwerk 11.233 Megawatt liefern, Strom für 35 Millionen Haushalte. Der zuvor unberührte Riesenstrom, für die Indigenen des Amazonasgebietes ein heiliger Fluss, wurde vor der „großen Flussschlinge“ („Volta Grande“) stromabwärts der Stadt Altamira abgezweigt und durch Kanäle in ein künstliches Reservoir geleitet. Für die Talsperre Pimental wurden 668 Quadratkilometer Urwald abgeholzt und abgebrannt, bevor das Land überflutet wurde (zum Vergleich: der Bodensee ist 536 Quadratkilometer groß). Der Verlust von großen Waldgebieten ist im Amazonasgebiet als einem der artenreichsten Regionen der Erde besonders gravierend. Der riesige Damm, der den Amazonas-Nebenfluss Rio Xingu in ein totes Gewässer verwandelt, zerstört die Lebensgrundlagen von mehr als 40.000 Indios, Fischern und Kleinbauern. Paulinho Paiakan wurde durch seinen Kampf gegen dieses Wasserkraftwerk, durch dessen Bau viele indigene Gemeinden ihr Land verloren, zu einem der bekanntesten Kämpfer für die Rechte von Ureinwohnern (Paiakan ist am 17. Juni 2020 an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben). Viele Jahre lang begleitete Erwin Kräutler, katholischer Bischof von Altamira („Amazonasbischof“), die Flussverteidiger in seinem Bistum Indios, Fischer und Bauern  in ihrem gewaltfreien Widerstand. In den 1980er Jahren wurde das Projekt bereits einmal aufgrund massiver Proteste gestoppt. Selbst die Menschenrechtskommission der Organisation der Amerikanischen Staaten und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) haben festgestellt, dass die brasilianische Regierung durch das Projekt die Menschenrechte verletzt. Die Konzerne Siemens (Stromtransport), Daimler Benz (LKW) sowie die Turbinenbauer Andritz (Österreich), Voith (Heidenheim) und Alstom (Frankreich) beteiligen sich an dem, laut Bischof Kräutler, rechtswidrigen Zerstörungswerk.

Film:

  • Der Frankfurter Dokumentarfilmer Martin Keßler verfolgt seit Jahren die Kämpfe in Amazonien. In Zusammenarbeit mit Bischof Kräutler entstanden fünf Doku-Filme, Count Down am Xingú I bis V.

Literatur:

  • Erwin Kräutler, Mein Leben für Amazonien. An der Seite der unterdrückten Völker, Tyrolia Verlag, Innsbruck/Wien 2014

Belo Monte ist allerdings nur der Anfang: Die Amazonas-Staaten planen mehr als 250 Wasserkraftwerke in der Region, wie der World Wide Fund For Nature (WWF) in der im April 2015 veröffentlichten Studie State of the Amazon: Freshwater Connectivity and Ecosystem Health ermittelt hat. Sollten die Pläne verwirklicht werden, blieben nach Angaben der Umweltschützer lediglich drei frei fließende Zubringerflüsse des Amazonas übrig. Die Bauvorhaben gefährdeten nicht nur das gesamte Flusssystem mit seiner großen Bedeutung für die lokale Bevölkerung, sondern auch die wichtige Rolle des Amazonas für das Weltklima.
Die brasilianische Umweltbehörde Ibama hat im August 2016 das geplante Kraftwerk São Luiz im bisher weitgehend unberührten Rio Tapajós untersagt. Auch die anderen in diesem Flusssystem geplanten sechs Kraftwerke dürften damit hinfällig geworden sein. Allerdings: Das katholische Hilfswerk Misereor warnt, Politiker könnten den Baustopp wieder aufheben. Misereor und Rettet den Regenwald e.V. hatten den Protest unterstützt.

In Laos befindet sich am unteren Lauf des mehr als 4000 Kilometer langen Mekong der umstrittene Xayaburi Staudamm im Bau. Er soll 820 Meter breit und rund 30 Meter hoch werden. Umweltorganisationen und die Nachbarstaaten warnen, dass der Staudamm das Ökosystem der Region zerstören könnte. „Am unteren Teil des Mekong sollen bis zum Jahr 2040 elf große Staudämme und insgesamt 120 weitere Projekte an Nebenflüssen für Wasserkraftwerke verwirklicht werden“, sagte die Umweltgruppe International Rivers, nachdem am 23. Juli 2018 ein Teil des Xe-Pian Xe-Namnoy Staudammes in der Attapeu-Provinz gebrochen war und mit einer gigantischen Flutwelle von fünf Milliarden Litern Wasser die Umgebung überschwemmt hatte; rund 16.000 Menschen waren nach Angaben der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes (IFCR) direkt betroffen.

In Tansania ist der Rufiji, (auch Rufidschi), der größte Fluss des Landes, durch den bereits begonnenen Bau eines gigantischen Staudamms, des größten Wasserkraftwerks Ostafrikas, bedroht. Eine über 130 Meter hohe Mauer wird den Fluss zu einem See aufstauen, rund dreimal so groß wie der Bodensee.

Am Fluss Wachsch in Tadschikistan ist am 16. November 2018 der mit 335 Metern höchste Staudamm der Welt offiziell in Betrieb genommen worden.

Auf dem Balkan sollen in den nächsten Jahren mehr als 570 Wasserkraftwerke gebaut und Flussabschnitte für die Schifffahrt begradigt werden, darunter auch Wasserwege, die durch Naturparks und Schutzgebiete führen.

Der Citarum in der indonesischen Provinz Jawa Barat gilt als der durch Industrieabfälle und Hausmüll am stärksten verschmutzteste der Welt. die indonesische Regierung will jetzt 3,5 Milliarden Euro investieren, damit das Wasser bis 2025 wieder sauber und trinkbar ist und der Fluss wieder die paradiesische Anmutung erhält, die er noch in der 1970er Jahren hatte.

Das Jordantal erlebt eine von Menschen gemachte Naturkatastrophe
Der Jordan steht kurz vor dem ökologischen Kollaps. Wenn die Anrainerstaaten sich nicht schleunigst zusammentun, ist das einst reiche Ökosystem für immer zerstört. In der Umweltorganisation Eco Peace / Friends of the Earth Middle East (FoEME) kämpfen Jorda­nier, Palästinenser und Israelis gemeinsam für den Erhalt des Jordantals.
Über Jahrtausende brachte der Jordan Leben in eine Landschaft von außerordentlichem ökologischem, spirituellem und kulturellem Wert. Gründungsgeschichten des Judentums, des christlichen Glaubens und des Islam spielten sich an seinen Ufern ab. In unserem kollektiven Gedächtnis ist der Jordan ein Fluss des Lebens, allen drei abrahamitischen Religionen ist er heilig.
Das Flussbecken des Jordan teilen sich heute Syrien, Jordanien, Israel und Palästina. Ihre Grenzen haben nichts mit den ökologischen Grenzen zu tun. Der ­wachsende Wasserbedarf dieser Länder sowie die Folgen des Klimawandels zerstören aber den unteren Jordanlauf. Anstatt das Tal als ein einzigartiges, grenzüberschreitendes Wassereinzugsgebiet zu verstehen, liegen diese Nationen im Wettstreit um den größtmöglichen Wasseranteil. Der Fluss ist derzeit Militärzone; er dient als Grenze zwischen Jordanien und Israel/Palästina. Jordanier und Israelis haben nur äußerst begrenzt, Palästinenser so gut wie keinen Zugang zum Jordan.
Der Jordan stirbt. Die Anrainerstaaten haben mehr als 96 Prozent des natürlichen Flusses umgeleitet. Seit 50 Jahren fließen ungeklärte Abwässer direkt in den Jordan, andere Abwässer kommen durch Versickerung hinzu. Das wenige verbleibende Flusswasser ist mit Unrat und Abfällen verschmutzt.
Während der Fluss austrocknet; ist das untere Jordantal bereits ökologisch ­kollabiert. Bald kann dies nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die Biodiversität ist um die Hälfte geschrumpft. Der Wasserspiegel des Toten Meeres sinkt so schnell, dass es bis zur Mitte des Jahrhunderts nur noch ein Teich sein wird. Dies ist nicht nur eine Tragödie für die Natur; Quellen, aus denen über Jahrtausende Ackerland bewässert wurde, sind ausgetrocknet, nicht etwa, weil Regen ausgeblieben ist, sondern weil die Grundwasserschichten durch Brunnen­bohrungen leergefördert sind. Der Niedergang des Jordan ist eine von Menschen gemachte Katastrophe.
(Aus: »Schneller-Magazin über christliches Leben im Nahen Osten« 3/2013, zitiert aus: „Die Warte des Tempels. Monatsschrift für offenes Christentum“ vom Mai 2014)


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