Bodenausverkauf, Landgrabbing, Privatbesitz an Grund und Boden: Information: Bodenausverkauf, Landgrabbing

 

Bodenausverkauf, Landgrabbing

 

Viele Grundstücksgeschäfte werden unter zweifelhaften, korrupten oder anderweitig illegalen Umständen abgeschlossen. Dafür hat sich die Bezeichnung Landgrabbing oder Landraub durchgesetzt (die Organisation GRAIN gebrauchte den Begriff im Jahr 2008 erstmals in diesem Sinn). Oftmals winken dabei riesige Gewinne, und meist werden die Geschäfte abgeschlossen, ohne dass die betroffenen Kleinbauern auch nur gefragt werden. Vor allem seit der Wirtschaftskrise 2008 entwickelt sich diese neue, globale Tendenz der Ausbeutung. Kapital aus der Finanzwelt drängt massiv in Acker- und Grünland, denn Anleger suchen mehr denn je nach Investitionen, die eine sichere Rendite bringen – Agrarflächen bieten dieses Potenzial. Farmgrabbing meint eine ähnliche Entwicklung, nur dass es dabei um die Übernahme bäuerlicher Höfe geht. Klassischerweise übernehmen Banken die Betriebe, wenn Kredite nicht mehr bedient werden. Höfe und Flächen werden zu Spekulationsobjekten.

China mit 8,1 Millionen Hektar, die USA mit 7,7 Millionen Hektar und die Schweiz mit 6,6 Millionen Hektar sind die drei Länder mit den meisten Investitionen in Land zwischen 2000 und 2020. (Bodenatlas 2024, Kapitel „Landgrabbing“, S. 26)

Auch Deutschland ist an Landgrabbing beteiligt. In Sambia hat sich beispielsweise der Berliner Investor Amatheon über 40.000 Hektar Land angeeignet. Die Deutsche Bank investierte 2009 über ihre Tochter DWS mindestens 279 Millionen Euro in Firmen, die Agrarland kaufen oder pachten. Diese Firmen verfügten so über mehr als 3 Millionen Hektar Land in Südamerika, Afrika und Südostasien. Die Ärzteversorgung Westfalen-Lippe investierte 100 Millionen US-Dollar in einen globalen Landfonds, der allein in Brasilien 133.000 Hektar Land insbesondere für riesige Sojamonokulturen aufgekauft hat.“ (Bodenatlas 2024, Kapitel „Landgrabbing“, S. 27)

Die Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam geht davon aus, dass von 2001 bis September 2011 weltweit 227 Millionen Hektar Land von ausländischen Investoren gekauft oder gepachtet wurden. Zum Vergleich: Die EU-Agrarfläche beträgt 178 Millionen Hektar. „Schätzungen gehen von weltweit mindestens 100 Millionen bis 213 Millionen Hektar aus, die seit der Jahrtausendwende zum Gegenstand von Landdeals wurden. Zum Vergleich: Die EU verfügt über 157 Millionen Hektar Agrarland.“ (Bodenatlas 2024, Kapitel „Landgrabbing“, S. 26)

Besonders betroffen ist Afrika. Auf diesem Kontinent sind bereits fast fünf Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in den Händen fremder Konzerne und ausländischer Fonds. Laut dem jüngsten, vom ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan im Mai 2013 vorgestellten „Fortschrittsreport Afrika“ wurden auf diesem Kontinent seit 2000 bis zu 134 Millionen Hektar Land von Investoren aufgekauft – das entspricht in etwa der Größe Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens zusammen. Laut der Datenbank Landmatrix wurden in Afrika allein in den Jahren 2000 bis 2016 von börsennotierten Unternehmen, Investmentfonds oder lokalen Eliten rund zehn Millionen Hektar Ackerland erworben. Auf die Staaten südlich der Sahara entfallen alleine 42 Prozent aller weltweiten Landaquisitionen. Welche Folgen solche Landaquisitionen haben, untersucht eine am 20. Juni 2021 veröffentlichte Studie des katholischen Hilfswerks Misereor.

Wie aus einer am 24. November 2020 veröffentlichten Studie der International Land Coalition (ILC) hervorgeht, nimmt die ungleiche Verteilung von Land in den meisten Ländern der Welt weiter zu. Ihr zufolge gibt es weltweit rund 608 Millionen landwirtschaftliche Betriebe, die meisten davon sind Familienbetriebe. Ein Prozent aller Betriebe bewirtschaftet jedoch mehr als siebzig Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche. Diese Betriebe seien in die globalen Produktionsketten von Lebensmitteln integriert. Davon ausgeschlossen hingegen seien in der Regel jene mehr als achtzig Prozent Kleinbetriebe mit weniger als zwei Hektar.

Dass auch europäische Akteure an diesen Deals beteiligt sind, belegt eine am 11. Oktober 2017 dem Unterausschuss für Menschenrechte (DROI) des Europäischen Parlaments vorgestellte Studie „Landgrabbing und Menschenrechte“ der Menschenrechtsorganisation Fian. Demnach kontrollieren britische Firmen 1,9 Millionen Hektar Land im Ausland, deutsche Unternehmen folgen mit 300.000 Hektar – nach Ländern wie Frankreich, Italien oder Finnland – auf Platz sieben. „In Ungarn etwa gelang es ausländischen Unternehmen und Investoren in den vergangenen zwanzig Jahren, rund eine Million Hektar zu erwerben – unter Umgehung der ungarischen Gesetze.“ (Agrar-Atlas. Daten und Fakten zur EU-Landwirtschaft, 2019, S. 25)

Wie viel Land überhaupt gehandelt wird, ist nicht klar. Das von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) mitentwickelte Projekt Land Matrix versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Es hat Landkäufe in Ländern mit geringem bis mittlerem Einkommen bis ins Jahr 2000 zurückverfolgt. Die internationale Datenbank, die nur die offiziell dokumentierten Land-Verträge enthält und die verifizierten Daten online stellt, beziffert (Stand Ende August 2017) den Kauf durch ortsfremde Investoren weltweit auf 49 Millionen Hektar. Das entspricht fast der dreifachen landwirtschaftlichen Fläche Deutschlands. Investoren aus den USA liegen dabei laut Land Matrix mit zehn Millionen Hektar mit Abstand vorne, andere große Player sind China, Großbritannien, Saudi-Arabien und Katar.

Nach Recherchen der Internationalen Landkoalition, eines Zusammenschlusses von rund 100 Nichtregierungsorganisationen und Institutionen wie der Weltbank, wird rund die Hälfte der in den vergangenen Jahren von Konzernen weltweit gepachteten Anbauflächen von mehr als 200 Millionen Hektar für die Produktion von Biodiesel verwendet. Ein Großteil der auf den restlichen Gütern angebauten Nahrungsmittel geht in die Herkunftsländer der Konzerne, die wie Südkorea, Indien oder Saudi-Arabien auf importierte Lebensmittel angewiesen sind. Und ein verhältnismäßig kleiner Teil wird nicht bebaut, sondern für Zwecke der Landspekulation verwendet. Der mit weitem Abstand geringste Teil der Erzeugnisse bleibt im Ursprungsland: Hungersnöte sind auf diese Weise also kaum zu vermeiden.

Auf der Grundlage einer Studie mit dem Titel „A Right to Food Perspective“ (Das Recht auf Nahrung im Blickpunkt) warnt Misereor vor den Folgen von Landgrabbing in Afrika. Die Hilfsorganisation kritisiert, dass internationale Konzerne in vielen Ländern durch langfristige Pachtverträge und den Ankauf großer Agrarflächen die Einwohner unter Druck setzten und den Zugang der Einwohner zu Nahrung bedrohten. Dies befürchten die Misereor-Experten auch, wenn nun in Tansania auf einer Fläche von der Größe Italiens private Unternehmen und Plantagen angesiedelt werden sollen.

Die Kinder besitzen keine eigene Tasse für den Hustensaft. Nachts schlafen sie bei gerade mal zehn Grad in Lumpen in Bretterverschlägen, die sie ihre Häuser nennen. Kakerlaken und Riesenspinnen an den Wänden der dunklen Hütten, in denen es keinen Strom und keine Heizung gibt, gehören dazu wie auch die Ameisen. Die sogar im Trinkwasser sind.« Wenn sie sich an das Leid der Kinder in den Bergen der philippinischen Insel Mindanao erinnert, schlägt bis heute das Herz von Sabine Redlin »bis zum Hals«. […] Sabine Redlin hat das hautnah erlebt. Denn das Prinzip der Organisation ist, bei den Einheimischen zu leben. Am Morgen dann, wenn die gefragten »German Doctors« mit dem Megafon vom Dorfplatz aus rufen, kommen die Menschen langsam in Reihen die Berge herunter: Kinder mit riesigen Wurm-Bäuchen, Lungenentzündung oder vereiterten Ohren. Erwachsene, die versucht haben, sich mit Insektenvertilgungsmitteln das Leben zu nehmen. Den Jungen, der den riesigen Behälter mit Hustensaft auf einmal austrank, weil er vor allem satt macht, sieht sie noch vor sich. Dabei wächst in dem Land alles, was das Herz begehrt: Bananen, Mangos oder Ananas und Kakao. Nur eben am falschen Ort: in den hermetisch abgeriegelten Plantagen der Amerikaner, die das Land faktisch gepachtet haben. Dort beschäftigen sie die Menschen für einen Hungerlohn, durch die Monokulturen ist der Rest der Erde verbrannt. »Die Ananas oder Mangos der amerikanischen Konzerne landen dann bei uns bei Edeka«, sagt Sabine Redlin. (Aus: Bettina Röder, „Armut ist die Katastrophe“, in: Publik-Forum Nr. 22 vom 22.11.2013, S. 26)

Unter dem Titel Agribusiness-Expansion, Landgrabbing und die Rolle europäischer privater und öffentlicher Gelder in Sambia. Eine Bewertung basierend auf dem Recht auf Nahrung hat die Menschenrechtsorganisation Fian zum „Internationalen Tag der Landlosen“ 2014 eine Studie vorgelegt.

Längst ist Landgrabbing auch in Europa angekommen, wie die für den EU-Abgeordneten der Grünen Martin Häusling erstellte Studie Die Ernte der Heuschrecken. Das weltweite Landgrabbing und die Verantwortung Europas vom Februar 2012 feststellt; sie nennt Rumänien, Russland, die Ukraine und Kasachstan als Zielländer von börsennotierten Gesellschaften und Fonds.
Die Studie der Kleinbauernbewegung La Via Campesina und dem Netzwerk „Hands-off the Land“ mit dem Titel Land concentration, land grabbing and people’s struggles in Europe vom Juni 2013 erläutert anhand von elf europäischen Ländern, in welchem Umfang die traditionelle Landwirtschaft durch die anhaltende Konzentration des Landbesitzes und den Einstieg fremden Kapitals bedroht wird. Die Landkonzentration habe, so die Autoren, auch in Europa Dimensionen erreicht, die denen Brasiliens, Kolumbiens oder der Philippinen ähnelten.
In der Europäischen Union kaufen und pachten ausländische Großinvestoren immer mehr Agrarland, insbesondere in östlichen Staaten. Das zeigt eine Studie, die das Europaparlament am 17. Juni 2015 in Brüssel vorstellte. Demnach kontrollieren etwa ausländische Investoren in Rumänien derzeit zwischen 30 und 40 Prozent aller Agrarflächen. In Ungarn liegt die Quote bei geschätzten 15 Prozent. Noch dramatischer sei die Situation in Bulgarien, obgleich dort keine offiziellen Informationen zu bekommen seien, schreiben die Autoren, die vom globalisierungskritischen „Transnational Institute“ in Amsterdam stammen. Auch Polen weise eine bedenkliche Bilanz auf, während das Phänomen in kleinerem Umfang auch das Baltikum, Tschechien und die Slowakei betreffe, heißt es. Unter den Investoren sind laut der Studie neben Agrarkonzernen auch Banken, Pensions- und Versicherungsfonds, die vor dem Hintergrund der EU-Finanzkrise nach neuen Anlagemöglichkeiten suchen. Die Geldgeber stammen aus Westeuropa, aber auch aus China, Kuwait, Katar und vielen weiteren Staaten. Die größte Farm Rumäniens ist nach Angaben der Autoren im Besitz einer Holding aus dem Libanon, erstreckt sich über 65.000 Hektar Land und exportiert Fleisch und Getreide nach Nahost und Ostafrika. Deutschland gehört einerseits zu den Investorenländern – etwa über den Allianz-Konzern, der unter anderem in Bulgarien aktiv ist – andererseits sind ausländische Geldgeber wie etwa die belgische KBC-Bank auch in der Bundesrepublik engagiert.

Laut einer Studie des NGO-nahen kanadischen „Oakland Institut“ vom Dezember 2014 sind seit 2002 rund 1,6 Millionen Hektar ukrainische Agrarfläche an multinationale Unternehmen verkauft oder verpachtet worden.
„Abertausende Hektar Land haben 2022 und 2023 den Besitz gewechselt. Laut der Studie ‚Krieg und Diebstahl‘ des kalifornischen Oakland Instituts, eines Thinktank für Nahrungssicherheit und Landaneignungen, gehören bereits drei Millionen Hektar fruchtbares Ackerland gerade mal einem Dutzend großer Agrarunternehmen. Oaklands Strategiedirektor Frédérick Mousseau nennt das eine Übernahme der ukrainischen Landwirtschaft durch westliche Konzerne.“ (Andrea Jeska, Ausverkauf im Schatten des Krieges. In der Ukraine eignen sich Agrarkonzerne riesige Flächen an, kleine Landwirtschaftsbetriebe fürchten um ihre Existenz, in: Frankfurter Rundschau vom 9. Oktober 2023)

In Rumänien wurden schon vor der Marktöffnung Äcker über Strohmänner von zumeist westlichen Investoren aufgekauft oder gepachtet. Seit 2014 dann im großen Stil: Ungefähr die Hälfte des nutzbaren Bodens ist inzwischen in den Händen von zumeist ausländischen Investoren – Agrarmultis aus Westeuropa und dem Nahen Osten oder Banken und Pensionsfonds. (Quelle: Mathias Greffrath, Rumänien auf der Kippe, Le Monde diplomatique, Januar 2019)

„In Ungarn (…) gelang es ausländischen Unternehmen und Investoren in den vergangenen zwanzig Jahren, rund eine Million Hektar zu erwerben – unter Umgehung der ungarischen Gesetze.“ (Agrar-Atlas. Daten und Fakten zur EU-Landwirtschaft, 2019, S. 25)

Über die Hälfte der deutschen Ackerflächen sind in der Hand von Großgrundbesitzern mit mehr als 100 Hektar Land. 1,3 Prozent der Agrarbetriebe kontrollieren 24,1 Prozent des Landes. Mittlerweile gibt es in Deutschland nur noch 288.000 Betriebe.
In Ostdeutschland kaufen landwirtschaftsfremde Investoren riesige Agrarflächen auf. Allein in Brandenburg beherrschen sie inzwischen bis zu 15 Prozent des Landes, schätzt der Brandenburgische Bauernbund. Mehr als fünf Prozent der brandenburgischen Äcker – 68.000 Hektar der 1,32 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche in Brandenburg – befinden sich im Besitz einer Gruppe von gerade sieben Anlegern. Im Landkreis Märkisch Oderland kontrollieren vier Investoren sogar fast ein Drittel des Bodens. – Die bundeseigene Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG), die Nachfolge-Gesellschaft der Treuhand, hat in den vergangenen Jahren fast 800.000 Hektar ostdeutsches Agrarland an meistbietende Investoren verkauft. – Laut des staatlichen Thünen-Instituts in Braunschweig befindet sich inzwischen rund ein Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe in Ostdeutschland in den Händen „artfremder Investoren“. Sie besitzen größtenteils Ackerflächen ehemaliger landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften.

„Jedes Jahr gehen in Deutschland mehr als 50.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche an andere Nutzarten verloren“, sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) am 28. Januar 2021 bei der Vorstellung der Studie „Auswirkungen überregional aktiver Investoren in der Landwirtschaft auf ländliche Räume“ des Thünen-Instituts.

Von den 5.600 Liegenschaften des Bundes, die die staatliche Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) in der Legislaturperiode 2017–2021 verkauft hat, gingen nur rund 1.400 an Kommunen oder kommunale Gesellschaften und 4.200 an private Investoren. Damit wurden insgesamt drei Viertel der vom Bund abgestoßenen Grundstücke und Gebäude privatisiert, wie die Bundesregierung im September 2021 auf eine Anfrage der Linksfraktion  im Bundestag berichtete. Vor allem in Ostdeutschland wird öffentliches Eigentum privatisiert.

Investoren sind seit der globalen Finanzmarktkrise auf der Suche nach neuen Anlagemöglichkeiten. Das Geschäft mit Ackerland stellt für sie ein Investment mit lukrativen Renditemöglichkeiten dar. Hedgefonds, Banken und Versorgungswerke investieren Geld in Landgeschäfte in der Hoffnung auf große Profite.

Bei vielen Anlageformen können Sparer direkt oder indirekt Formen von Landraub unterstützen. Das geht aus der Studie Nicht zu verkaufen! Agrarland in Entwicklungs- und Schwellenländern als neues Anlageprodukt hervor, die das Südwind Institut für Ökonomie und Ökumene im Dezember 2013 veröffentlichte.

 

Literatur:

Film:

  • Die neuen Großgrundbesitzer – das Geschäft mit Europas Boden. Ein Film von Cordula Echterhoff und Jutta Pinzler (Ersterscheinung: 15. September 2015)
  • Landraub. Ein Film von Kurt Langbein und Christian Brüser (Kinostart Österreich: 18. September 2015. Kinostart Deutschland: 08.Oktober 2015)
  • Re: Land für alle. Keine Chance für Spekulanten (arte)


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