Exkurs

Das Lebensmedium des Reiches Gottes

 

Die Verletzungen und Zerstörungen der Welt fordern die Rede vom Reich Gottes in besonderer Weise heraus. Sie scheinen sie zu widerlegen und ad absurdum zu führen. Andererseits protestieren Organisationen, Initiativen, Einzelne in großer Zahl gegen die Beschädigung des Lebens, gegen die ungerechte Verteilung der Güter, die Ausbeutung der Arbeitskraft, die Anwendung militärischer Gewalt, gegen einen die Erde zerstörenden Konsum- und Lebensstil.

So treten unzählige ethische Einzelforderungen und moralische Appelle von außen an die Menschen heran. Es entsteht schlechtes Gewissen, ethische Verpflichtung, Druck. Soll es so sein im Reich Gottes? Wohl kaum. Wenn es heißt, das Reich Gottes sei mitten unter uns, dann muss es uns näher sein, als es moralische Verpflichtungen, Gebote, Gesetze, ideelle Werte, Weltanschauungen sein können.

Das Nächste und Fundamentalste, das wir haben, ist unsere leibliche Existenzweise, die unweigerlich immer schon aufs engste mit der Welt verbunden ist. Bevor wir als  Kind angefangen haben zu denken und die Welt zu ordnen, waren wir vom allerersten Moment an in unsere Lebensgrundlagen eingebettet. Nicht nur angekommen auf dem bewohnbaren Planeten Erde, sondern auch aus der Mutter Erde hervorgegangen, aus den materiellen Stoffen, aus der Luft, dem Wasser aus der Nahrung, aus dem geschützten Lebensraum der Mutter und anderer Menschen, aus der passenden Temperatur der Umgebung, aus der Sichtbarkeit der Welt durch das Licht der Sonne zum Sehen befähigt.

Als so beschaffenes leibliches Weltwesen, als individuelles Wesen, das in eine räumlich und zeitlich bestimmte Welt eingelassen ist, sind wir ursprünglich nicht getrennt vom großen Zusammenhang alles Lebendigen, was auch ein anderer Namen für „Reich Gottes“ sein könnte. Wenn aber unsere Genese aus der Erde und unsere bleibende Gebundenheit an sie nicht als Struktur in das Denken, Organisieren und Arbeiten eingeht, wirken die Produkte dieses Geistes zerstörerisch gegen das Leben auf der Erde. Denn wenn die fundamentalen Lebensgegebenheiten der eigenen leiblichen Existenz als nicht der Rede wert, als unwichtig vergessen und zurückgelassen werden, kann es auch keine Verbundenheit mit der Gesamtheit aller Lebewesen und des Lebendigen überhaupt geben.

Obwohl fast alle Unternehmungen der Menschen noch irgendwie mit der Versorgung und Sicherung der leiblichen Existenz zu tun haben, bildet diese nur selten Antrieb und Maßstab im ökonomischen und politischen Geschäft. Wenn sich aber Gewinn, Reichtum, Gewalt und Herrschaft an die Stelle der leiblichen Existenz im großen Zusammenhang des Lebendigen setzen, der alle leben und gut leben lässt, ohne hungern und frieren zu müssen, ohne Gewalt zu erleiden und getötet zu werden, dann ist die Welt als Reich Gottes bedroht. Die Verletzungen und Beschädigungen der Welt greifen den großen Zusammenhang des Lebens an, der uns selber trägt und leben lässt.

Es braucht deshalb keine Gebote, Pflichten und Forderungen von außen, um dem Reich Gottes gemäß zu denken und zu empfinden. Das kommt vielmehr aus dem umfassenden Lebensgrund  selbst, mit dem wir verbunden sind. Das Lebensmedium des Reiches Gottes aber ist kein Zustand, sondern ein Geschehen und eine Bewegung, wo das blockierte Leben in Gang kommt, wo die verhärteten Verhältnisse aufgebrochen werden, wo Verletzung und Beschädigung der Welt nicht zugelassen werden.

Hans Bischlager


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