Atomwaffen: Information

 

INFORMATION

 

 Am 24. Januar 2023 gab ein Gremium aus Wissenschaftlern (darunter 17 Nobelpreisträger) und Fachautoren des Bulletin of the Atomic Scientists bekannt, dass der Zeiger der Doomsday Clock (Weltuntergangsuhr) um 10 Sekunden auf 90 Sekunden vor Zwölf vorgerückt wird. So nahe vor Mitternacht und damit symbolisch vor einem Weltuntergang standen die Zeiger noch nie. Nach Rachel Bronson, Geschäftsführerin des „Bulletin of the Atomic Scientists“, seien die Experten der festen Überzeugung, dass die Menschheit derzeit in einer „noch nie dagewesenen Gefahr“ lebe. „Russlands kaum verhüllte Drohungen, Atomwaffen einzusetzen, erinnern die Welt daran, dass eine Eskalation des Konflikts – durch einen Unfall, durch Absicht oder Fehlkalkulation – ein fürchterliches Risiko darstellt.“ Es gebe ein hohes Risiko, dass der Konflikt außer Kontrolle gerate und es sei nicht auszuschließen, dass Präsident Putin im Falle einer sich abzeichnenden Niederlage in der Ukraine als „verzweifelten letzten Versuch“ Atomwaffen einsetze, auch wenn diese keinen militärischen Zweck mehr erfüllen würden. Bei den Kämpfen um die Atomanlagen von Tschernobyl und Saporischschja werde zudem die Freisetzung von radioaktivem Material riskiert. Infolge einer „frenetischen Suche“ nach neuen Erdgasquellen seien auch die Treibhausgas-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe im vergangenen Jahr auf einen neuen Rekordwert geklettert, was die CO2-Konzentration in der Atmosphäre weiter steigen lasse.
Das „Bulletin of the Atomic Scientists“ (BAS, Berichtsblatt der Atomwissenschaftler) wurde 1945 nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki von Atomwissenschaftlern gegründet, um Politiker:innen und die Öffentlichkeit über die Gefahren von Atomwaffen aufzuklären. 1947 führte das Bulletin die „Doomsday Clock“ (Atomkriegsuhr, eigentlich „Uhr des Jüngsten Gerichts“) ein, eine symbolische Uhr, die der Öffentlichkeit verdeutlichen soll, wie groß das derzeitige Risiko eines Atomkriegs ist. Die Uhr spielt auf die Metapher an, es sei „fünf Minuten vor zwölf“, wenn ein äußerst nachteiliges Ereignis unmittelbar droht. 1947 wurde sie mit der Zeigerstellung sieben Minuten vor zwölf gestartet und seither in Abhängigkeit von der Weltlage vor- oder zurückgestellt.

 

Wie aus dem am 12. Juni 2023 veröffentlichten Jahresbericht des Stockholmer Friedensinstituts Sipri hervorgeht, verfügten die WELTWEIT neun Atommächte im Januar 2023 schätzungsweise über 12.512 Atomwaffen, von denen 9.576 einsatzfähig waren, 86 mehr als im Jahr zuvor. Davon besitzen Russland mit 5889 und die USA mit 5244 gemeinsam über knapp 90 Prozent. Der Rest verteilt sich auf China (410, 60 mehr als im Jahr zuvor), Frankreich (290), Großbritannien (225), Pakistan (170), Indien (164), Israel (schätzungsweise 90) und Nordkorea (schätzungsweise 30). Mit 43,7 Milliarden US-Dollar investierten die USA mehr Geld in ihre Nuklearwaffen als alle anderen acht Atommächte zusammen.

Am 16. Juli 1945 ist in New Mexico (USA) die erste Atombombe getestet worden. Ihr radioaktiver Fallout war auf der Erdoberfläche weltweit nachweisbar. 2.427 Atombomben sind in den letzten 63 Jahren gezündet worden – zwei im Krieg (Hiroshima, Nagasaki), die übrigen – über ein Viertel oberirdisch – zu Testzwecken: USA: 1.152, UdSSR: 980, Frankreich: 198, Großbritannien: 45, China: 45, Indien: 2, Pakistan: 2; Nordkorea hat zwischen 2006 und 2013 drei Atomtests unternommen; am 6. Januar und am 9. September 2016 wurden zwei weitere Nuklearversuche durchgeführt, am 3. September 2017 wurde zum sechsten Mal eine Atomwaffe getestet. Eine Studie der Organisation für atomare Abrüstung IPPNW schätzt die globale Zahl tödlicher Krebsfälle durch Atomtests bis zum Jahr 2000 auf 430.000 Menschen. Der Strahlenbiologe Roland Scholz von der Universität München kalkuliert mit drei Millionen Toten, gerade auch durch die Belastung aufgrund radioaktiven Niederschlags.

Bei Atomwaffen denkt man zunächst an die Opfer von Hiroshima und Nagasaki. Doch seit 1945 haben die Atommächte weltweit auch mehr als 2.000 Atomtests durchgeführt. An rund 60 Orten in 15 Ländern wurden systematisch Atombomben zur Explosion gebracht. Dort lebende Menschen wurden vertrieben und ganze Kulturen zerstört – nur um Massenvernichtungswaffen zu testen! Radioaktive Partikel verbreiteten sich unkontrolliert und vergiften bis heute Boden, Luft, Wasser und Menschen. Von Australien bis Kasachstan und von Französisch-Polynesien bis nach China bleiben ausgedehnte Gebiete auf unabsehbare Zeit unbewohnbar.“ (Aus: Ohne Rüstung Leben, Informationen 184/2023-2)

Eine Weltkarte atomarer Verwüstung finden Sie hier.

In höheren Schichten der Atmosphäre sind mehr radioaktive Teilchen vorhanden als erwartet. Sie stammen hauptsächlich von Atomwaffentests der 1950er und frühen 1960er Jahre. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Schweizer Bundesamtes für Bevölkerungsschutz, die am 7. Januar 2014 im Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlicht wurde. Zugleich stellen die Autoren um José Corcho Alvarado die Hypothese auf, dass die radioaktiven Partikel durch Vulkanausbrüche auch in tiefere Luftschichten gelangen können.

Um ein beispielhaftes Szenario zu nennen: Der Abwurf einer nordkoreanischen, verhältnismäßig kleinen Atombombe auf Seoul, mit einer Sprengkraft von etwa zehn Kilotonnen, würde aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte in den ersten vier Monaten etwa 140.000 Menschen töten. Im Zentrum der Explosion würde alles in einer Millisekunde zerstört. Menschen würden sich in Asche verwandeln. In einem halben bis einem Kilometer Entfernung würden 90 Prozent aller Menschen sterben. Die Hitze würde schwerste Verbrennungen verursachen, die Druckwelle die meisten Gebäude zerstören, umherfliegende Trümmerteile würden zu tödlichen Geschossen. Der Druck würde innere Organe platzen lassen. Viele Menschen würden an akuter Strahlenkrankheit mit Übelkeit, Erbrechen, inneren Blutungen, Fieber und Infektionen sterben. Nach dem Einsatz einer Atomwaffe wäre effektive humanitäre Hilfe unmöglich. Krankenhäuser, Verkehrs- und Kommunikationssysteme sowie Stromversorgung wären größtenteils nicht mehr vorhanden.

Das englische Parlament beschloss am 19. Juli 2016 die Modernisierung der vier Atom-U-Boote der Royal Navy: Bis 2030 sollen sie durch neuere Modelle ersetzt werden. Die Kosten: für 31 Milliarden Pfund. Mindestens eines der vier U-Boote kreuzt ständig über die Weltmeere und trägt Langstreckenraketen der „Trident“- („Dreizack“) Klasse, die an die 200 atomare Sprengkörper abfeuern können.

In EUROPA befinden sich rund 150 bis 200 amerikanische Atombomben, und zwar bis zu 20 in Kleine Brogel (Belgien), bis zu 20 in Volkel (Niederlande), bis zu 50 in Aviano und bis zu 20 in Ghedi (Italien) sowie bis zu 20 in Büchel (Deutschland). Es handelt sich um verschiedene Varianten der Atombombe B61. Sie hat eine Sprengkraft, die dem etwa vier- bis mehr als zehnfachen der Hiroshima-Bombe entspricht. Sie ist als einzige Atomwaffe außerhalb der USA stationiert. Das größte Atomwaffenlager mit rund 50 US-amerikanischen Atombomben des Typs B61 befindet sich in unterirdischen Bunkern auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik in der Südosttürkei.

In DEUTSCHLAND lagern auf dem Luftwaffenstützpunkt Büchel in der Eifel in Rheinland-Pfalz bis zu 20 US-Atomsprengköpfe mit der jeweils vierfachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe. Es handelt sich allerdings nicht um strategische Atomwaffen, die primär Militäranlagen und Städte auf gegnerischem Staatsgebiet bedrohen, sondern um taktische Atomwaffen, die auf dem Schlachtfeld eingesetzt werden. Im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ (so wird das Konzept der Nato bezeichnet, wonach Staaten ohne eigene Atomwaffen in den Einsatz solcher Waffen einbezogen werden, etwa indem sie sie auf Stützpunkten lagern oder mit Flugzeugen transportieren) würden deutsche Piloten sie über dem Zielgebiet abwerfen. Der Abwurf wird regelmäßig mit Attrappen geübt.

In einem parteiübergreifenden Beschluss des Bundestags vom 26. März 2010 wird die Absicht der Bundesregierung bekräftigt, den Abzug der Atombomben aktiv zu betreiben. Doch hat sich die Bundesregierung jetzt damit einverstanden erklärt, dass diese Waffen im Land bleiben und mit Milliarden-Aufwand modernisiert werden. Das ergibt sich nach Informationen von Militärexperten aus einer Nato-Erklärung vom Mai 2012, die auch Deutschland verabschiedete. Zudem will die Bundeswehr etwa 250 Millionen Euro ausgeben, um ihre Tornado-Kampfflugzeuge, von denen die US-Atombomben im Kriegsfall abgeworfen werden sollen, noch bis zum Jahr 2024 einsatzfähig zu halten.
Die USA wollen in Büchel ab 2021 eine völlig neue Generation von Atomwaffen stationieren: Die bisher freifallenden B61-4-Sprengköpfe werden durch lasergesteuerte, d.h. zielgenauere B61-12-Lenkflugkörper ersetzt, deren Sprengkraft zudem flexibel eingestellt werden kann. Damit sinkt die Hemmschwelle für einen Einsatz. Für die neuen Bomben soll Deutschland Kampfjets von den USA kaufen, weil die alten Tornado-Flugzeuge nicht in der Lage sind, sie richtig einzusetzen.
Die Ärzteorganisation IPPNW kritisiert in einer Pressemitteilung vom 5. März 2021 die Entscheidung der Bundesregierung trotz der Pandemie und vor der Wahl am 26. September 2021, die Neustationierung von Atomwaffen in Büchel vorzubereiten. In einer Antwort an die Fraktion DIE LINKE vom 1. März 2021 bestätigt die Bundesregierung, dass 2022 Bauarbeiten am Bundeswehr Fliegerhorst Büchel an der Start- und Landebahn beginnen und bis 2026 andauern sollen. Die geplanten Kosten der Um- und Ausbaumaßnahmen betragen knapp 260 Millionen Euro.
Am 14. März 2022 kündigte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) den Kauf von bis zu 35 Maschinen des US-Tarnkappenjets F-35 an; sie sind in der Lage, Atomwaffen zu tragen. Damit würde Deutschland „die Möglichkeit eines Einsatzes der in Deutschland stationierten US-At0mwaffen für weitere Jahrzehnte festschreiben“, meinen die Abgeordneten der Linken.

Die Unterhaltskosten für die Atomwaffen werden auf jährlich 105 Milliarden US-Dollar geschätzt. Vieles wird von privaten Gesellschaften ausgeführt, die durch ein Netz von Finanzinstituten auf der ganzen Welt, einschließlich Deutschland, finanziert werden.

„ICAN untersucht mit der Kampagne »Don’t Bank on the Bomb« seit 2012 die Kreditvergabe zum Bau von Atombomben. Allein zwischen Januar 2017 und Januar 2019 investierten Banken dafür 900 Milliarden US-Dollar. Für über die Hälfte waren nur zehn Finanzinstitute verantwortlich: Vanguard, BlackRock, Capital Group, State Street, Verisight (inzwischen Newport Group), T. Rowe Price, Bank of America, JP Morgan Chase, Wells Fargo und die Citigroup.“ (Uranatlas, S. 37)

Eine Übersicht über Finanzinstitute, die in Atomwaffenhersteller investieren, finden Sie hier.

Mehr als zehn Milliarden Dollar sollen deutsche Finanzinstitute seit 2014 in Unternehmen investiert haben, die Atomwaffen herstellen. Das geht aus der am 7. März 2018 veröffentlichten Studie „Don´t Bank on the Bomb“ (Finanziere nicht die Bombe) der „Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen“ (Ican) und der niederländischen Friedensorganisation Pax hervor. Demnach haben zehn deutsche Finanzdienstleister den Atomwaffen-Produzenten von 2014 bis 2016 insgesamt rund 10,37 Milliarden US-Dollar (8,41 Milliarden Euro) zur Verfügung gestellt. Die Volks- und Raiffeisenbanken verkaufen das Investment sogar über den Fonds UniGlobal an Privatanleger – zum Beispiel für die Riester-Rente. Die DZ-Bank, das Zentralinstitut von rund tausend Genossenschaftsbanken, hat ihr Investment in Atomwaffenhersteller von 66 Millionen auf 470 Millionen US-Dollar erhöht. Allein mit 400 Millionen Dollar unterstützt sie die US-amerikanische Rüstungsfirma Northrop Grumman. Das Unternehmen produziert Atomraketen für das US-Arsenal und ist auch am britischen Atomwaffenprogramm beteiligt. Größter Finanzier hierzulande ist die Deutsche Bank. Im Vergleich zur vorangegangenen ICAN-Studie aus dem Jahr 2013 sind deren Investitionen in das Atomgeschäft von 5,15 Milliarden auf 6,62 Milliarden US-Dollar gestiegen. Doch immerhin scheint die Studie des Friedensnobelpreisträgers Ican nicht ohne Wirkung geblieben zu sein: Die Deutsche Bank hat angekündigt, ihre Geschäftsbeziehungen zu Atomwaffen-Herstellern zu beenden.

Laut der am 5. Juni 2019 veröffentlichten Studie der ICAN-Partnerorganisation pax christi “Shorting our security – Financing the companies that make nuclear weaponsfinanzieren deutsche Kreditinstitute die Herstellung von Atomwaffen mit Milliardenbeträgen. Elf deutsche Finanzdienstleister haben den Atomwaffen-Produzenten seit Januar 2017 insgesamt rund 11,67 Milliarden US-Dollar (10,36 Milliarden Euro) zur Verfügung gestellt. Spitzenreiter ist weiterhin die Deutsche Bank mit 6,757 Milliarden Dollar, die ihre Investitionen gegenüber den Vorjahren sogar noch gesteigert haben. Im Mai 2018 hatte die Deutsche Bank angekündigt, ihre Geschäftsbeziehungen zu Atomwaffen-Herstellern beenden zu wollen. Platz zwei nimmt die DZ-Bank mit 1,525 Milliarden Dollar ein, gefolgt von der Commerzbank mit 1,322 Milliarden Dollar. Die DZ Bank, die Zentralbank für alle Volks- und Raiffeisenbanken, hat die Finanzierung von Atomwaffensystemen von 470 Millionen US-Dollar (Januar 2014) auf 1,525 Milliarden Dollar (Januar 2017) gesteigert.

Weitere Informationen finden Sie auf der Website „Atomwaffen A–Z„.

 

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