Zum Oktober 1917

„Erklärung
Im Gedächtnismonat der Reformation fühlen wir unterzeichneten Berliner Pfarrer, im Einverständnis mit vielen evangelischen Männern und Frauen uns zu folgender Erklärung verpflichtet, die zugleich Antwort auf mehrfache Kundgebungen aus neutralen Ländern sein soll.
Wir deutschen Protestanten reichen im Bewusstsein der gemeinsamen christlichen Güter und Ziele allen Glaubensgenossen, auch denen in den feindlichen Staaten, von Herzen die Bruderhand.
Wir erkennen die tiefsten Ursachen dieses Krieges in den widerchristlichen Mächten, die das Völkerleben beherrschen, in Misstrauen, Gewaltvergötterung und Begehrlichkeit, und erblicken in einem Frieden der Verständigung und Versöhnung den erstrebenswerten Frieden. Wir sehen den Hintergrund einer ehrlichen Völkerannäherung vor allem in der unheilvollen Herrschaft von Lüge und Phrase, durch die die Wahrheit verschwiegen oder entstellt und Wahn verbreitet wird, und rufen alle, die den Frieden wünschen, in allen Ländern zum entschlossenen Kampf gegen dieses Hindernis auf.
Wir fühlen angesichts dieses fürchterlichen Krieges die Gewissenspflicht, im Namen des Christentums fortan mit aller Entschiedenheit dahin zu streben, dass der Krieg als Mittel der Auseinandersetzung unter den Völkern aus der Welt verschwindet.
Lic. Dr. K. Aner, W. Nithack-Stahn, O. Pleß, Lic. Dr. Fr. Rittelmeyer, Lic. R. Wielandt.” (Die Christliche Welt, 1917)

Als führender Kopf dieser Resolution darf Karl Aner, Pfarrer in Berlin-Charlottenburg, angesehen werden, obwohl dieser sich noch in den ersten Kriegsjahren nicht gerade pazifistisch geäußert hatte. Sein Kollege Walter Nithack-Stahn von der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zählte bereits vor 1914 zu den wenigen bekannten evangelischen Friedenspfarrern Deutschlands. Dieser Aufruf unterschied sich deutlich von der Deutschen Vaterlandspartei und den weithin verbreiteten imperialistischen Auffassungen. So werden Gewalt und Krieg generell abgelehnt, Kriegspropaganda und lügenhafte Pressekampagnen deutlich kritisiert sowie eine Völkerverständigung und ein Verständigungsfrieden gefordert. Auch gegenüber der politischen Mentalität großer Teile des deutschen Protestantismus grenzt sich diese Friedensresolution klar ab. Viele Theologen und Pfarrer stellten sich rückhaltlos hinter die aggressive Außenpolitik des Kaiserreichs und legitimierten ohne Einschränkungen den Ersten Weltkrieg. Demgegenüber fanden – vor und nach 1914 – nur wenige evangelische Pfarrer den Weg zur Deutschen Friedensgesellschaft.
Gezielt wurde diese Erklärung im Gedächtnismonat der Reformation (400 Jahre Thesenanschlag Luthers) von den Berliner Friedenspfarrern publiziert. Wie notwendig ein solcher Ruf der internationalen Verständigung in einem Meer von Hass, Nationalismus, Gewalt und Krieg war, zeigt ein Blick auf den Oktober 1917: Zur Erinnerung an den Beginn der Reformation wurde nicht nur eine kirchliche und theologische Luther-Renaissance eingeleitet, sondern diese auch bewusst mit einer Kriegsverherrlichung verknüpft. (Aus einem Beitrag von Karlheinz Lipp in: zivil 3/2009, S. 29)


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