Zum Internationalen Tag der Muttersprache

Mehrere Tote forderte am 21. Februar 1952 eine Demonstration in Dhaka, der Hauptstadt des damaligen Ost-Pakistan, weil die pakistanische Polizei in die Menge schoss. Ursache der Proteste war der Beschluss des pakistanischen Regimes, Urdu zur alleinigen Amtssprache des Landes zu erklären. Das Problem: Nur drei Prozent der pakistanischen Bevölkerung sprachen Urdu. Demgegenüber sprachen aber mehr als 56 Prozent der damaligen Gesamtbevölkerung (West- und Ost-Pakistan) Bengali (Bangla) als Muttersprache. In Ost-Bengalen, dem damaligen Ost-Pakistan, lag dieser Anteil sogar bei 98 Prozent. Urdu war die Sprache der herrschenden Schichten in Pakistan und die Sprache der Muslim-Liga, auf deren Betreiben der Staat Pakistan gegründet wurde. Die brachialen Maßnahmen zur Unterdrückung der bengalischen Sprache und Kultur waren letztendlich vergebens. 1971 konnte Ost-Bengalen nach neunmonatigem Bürgerkrieg seine Unabhängigkeit von Pakistan erklären. Der Name des neuen Staates lautet: Bangladesch, die Landessprache ist Bengali. Im November 1999 beschloss die Generalversammlung der Unesco auf Antrag Bangladeschs, den 21. Februar zum Internationalen Tag der Muttersprache (International Mother Language Day) zu erklären. Am 21. Februar 2000 wurde er erstmals begangen.

Zur offiziellen Seite des International Mother Language Day

Fast die Hälfte der 6000 zurzeit weltweit gesprochenen Sprachen ist nach Einschätzung der Unesco vom Verschwinden bedroht. Alle zwei Wochen gehe eine Sprache verloren, teilte die Deutsche Unesco-Kommission am 15. Februar 2012 in Bonn mit. Laut einer Mitteilung der Gesellschaft für bedrohte Völker zum 21. Februar 2014 sind von den mehr als 6000 Sprachen 1800 akut gefährdet.

6.249 Sprachen haben weniger als eine Million Sprechende. Von diesen Sprachen werden bis Ende des Jahrhunderts 50 bis 80 Prozent aussterben. Um sie zu dokumentieren, wurde The Language Archive gestartet; Details. Die Datenbank Documentation of Endangered Languages (Dokumentation bedrohter Sprachen, DOBES) zeigt den Forschungsstand und gibt Beispiele, welche Sprachen vom Verschwinden bedroht sind.
Am 21. Februar 2009 hat die Kulturorganisation Unescoam in Paris den neuen „Atlas of the World’s Languages in Danger of Disappearing“ (Atlas der gefährdeten Sprachen) veröffentlicht. Demnach sind etwa 2500 von insgesamt schätzungsweise 6000 bis 7000 derzeit gesprochenen Sprachen vom Aussterben bedroht
Der Internet-Konzern Google hat ein Web-Portal zur Dokumentation gefährdeter Sprachen gestartet. Das Endangered Languages Project will Informationen über Sprachen zusammentragen, die nur noch von wenigen Menschen gesprochen werden und somit vom Aussterben bedroht sind.

Ziel der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (englisch European Charter for Regional or Minority Languages, ECRML) vom 5. November 1992 ist es, dass Regional- oder Minderheitensprachen als ein einzigartiger Bestandteil des kulturellen Erbes Europas anerkannt werden. Die Charta setzt sich dafür ein, dass die Zusammengehörigkeit von regionalen Sprachminderheiten nicht durch politische Grenzen behindert wird. Durch das verbindende Element der Charta soll die grenzübergreifende Zusammenarbeit von Anhängern einer Sprachgruppe gestärkt werden. Die Regional- und Minderheitensprachen sollen vor dem Aussterben geschützt und ihr Gebrauch im Bereich des Rechts, der Schulen, des öffentlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens sowie der Medien ausgeweitet werden. Dazu gehören der fremdsprachliche Unterricht und das Studium der jeweiligen Sprache, auch und vor allem für ihre dachsprachlichen Mitbürger. Die Charta setzt explizit auf die Verbindung verschiedener Bevölkerungsteile, nicht auf eine Abschottung voneinander.

Sprachforscher aus den USA haben im Jahr 2010 im indischen Bundesstaat Arunachal Pradesh eine bisher unbekannte Sprache entdeckt: Koro gehört zur tibetanisch-birmanischen Sprachfamilie, wird nur von 800 Menschen gesprochen und ist nicht niedergeschrieben.

Eine neuere Untersuchung ergab, dass in Indien nicht, wie bisher angenommen, 122, sondern 780 Sprachen gesprochen werden.

Laut Dieter Wunderlich, Sprachen der Welt. Warum sie so verschieden sind und sich doch alle gleichen, Lambert Schneider Verlag, Darmstadt 2015, geht man von 7105 noch lebenden Sprachen aus. Zwei Drittel aller Menschen sprechen eine der 24 am häufigsten gesprochenen Sprachen als Muttersprache – von Chinesisch (1,2 Milliarden) über Spanisch, Englisch (nur Platz drei), Deutsch (immerhin auf Platz elf) bis zu Oriya mit rund 50 Millionen indischen Sprechern. Die anderen 7081 Sprachen verteilen sich auf das übrige Drittel, viele von ihnen haben nur einige Tausend Sprecher. Dass kleinere Sprachen aussterben, glaubt Wunderlich nicht – inzwischen seien viele Staaten viel aufmerksamer gegenüber den Bedürfnissen ihrer Minoritäten als noch vor 30 Jahren.

„Das große Sprachensterben“, 15.9.2016, 3sat

Die Endangered Language Alliance (ELA) in Manhattan bemüht sich darum, rund um die Welt aussterbende Sprachen zu retten.

Die Gesellschaft für bedrohte Sprachen e.V. verfolgt das Ziel, den Gebrauch, den Erhalt und die Dokumentation bedrohter Sprachen und Dialekte zu fördern.

Wie die Tageszeitung „La Jornada“ im Februar 2021 berichtete, haben Studenten der Autonomen Universität Chapingo haben eine App entwickelt, die das Überleben von indigenen Sprachen in Mexiko ermöglichen soll. Sie steht ab sofort zum Download in verschiedenen Diensten zur Verfügung und startet mit zunächst 15 indigenen Sprachen. Später sollen es einmal 68 sein. In Mexiko gibt es derzeit rund 7,3 Millionen Menschen, die indigene Sprachen sprechen. Das Nationale Institut der indigenen Völker berichtete zuletzt allerdings über einen kontinuierlichen Rückgang der Nutzung der Sprachen der Ureinwohner.

Weltweit gibt es mindestens 370 Millionen Indigene. Sie sprechen 4000 Sprachen, von den nach Angaben der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) 2680 vom Aussterben bedroht sind. Die Vereinten Nationen haben darum 2019 zum „Jahr der indigenen Sprachen“ erklärt. Diese müssten als kulturelles Erbe der Menschheit erhalten und wieder mit neuem Leben gefüllt werden, heißt es in einer Resolution der UN-Vollversammlung. Die Erklärung vom 19. Dezember 2016 wurde einstimmig von allen 193 UN-Mitgliedern angenommen. Am 28. Januar 2019 wurde das UN-Jahr offiziell eröffnet.

Von 2022 bis 2032 findet die Internationale Dekade der indigenen Sprachen der Unesco statt.

Weltweit gibt es ungefähr 7.000 erfasste Sprachen. Ungefähr die Hälfte ist derzeit bedroht, weil sie von immer weniger Menschen gesprochen werden. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten 1.500 Sprachen endgültig verschwunden sein, warnen australische Forscherinnen und Forscher in ihrer am 16. Dezember 2021 im Onlinemagazin „Nature Ecology and Evolution“ erschienenen Studie.

 


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