Zum 4. Juni 1844

4. bis 6. Juni 1844: Schlesischer Weberaufstand

Diese spontane Erhebung schlesischer Weber in Peterswaldau (heute polnisch Pieszyce) und Langenbielau (Bielawa) als Folge der dramatischen Verschlechterung ihrer sozialen Lage macht einer breiteren Öffentlichkeit das Ausmaß des Elends deutlich. Alle Zeitungen berichten davon, viele Künstler nehmen in Gedichten, Liedern und Gemälden darauf Bezug. Der Aufstand wird durch preußische Truppen brutal niedergeschlagen.

Blutgericht, das historische Kampflied der schlesischen Weber in Peterswaldau und Langenbielau:

Hier im Ort ist das Gericht,
Viel schlimmer als die Fernen,
Wo man nicht mehr ein Urteil spricht,
Das Leben schnell zu nehmen.

Hier wird der Mensch langsam gequält,
Hier ist die Folterkammer,
Hier werden Seufzer viel gezählt
Als Zeugen von dem Jammer.

Die Herren Zwanziger die Henker sind,
Die Diener, ihre Schergen,
Davon ein jeder tapfer schind’t,
Anstatt was zu verbergen.

Ihr Schurken all, ihr Satansbrut!
Ihr höllischen Kujone!
Ihr freßt der Armen Hab und Gut,
Und Fluch wird euch zum Lohne!

Ihr seid die Quelle aller Not,
Die hier den Armen drücket,
Ihr seid’s, die ihr das trockne Brot
Noch von dem Munde rücket.

Was kümmert’s euch, ob arme Leut
Kartoffeln kauen müssen,
Wenn ihr nur könnt zu jeder Zeit
Den besten Braten essen?

Kommt nun ein armer ‚Webersmann,
Die Arbeit zu besehen,
Find’t sich der kleinste Fehler dran,
Wird’s ihm gar schlecht ergehen.

Erhält er dann den kargen Lohn,
Wird ihm noch abgezogen,
Zeigt ihm die Tür mit Spott, und Hohn
Kommt ihm noch nachgeflogen.

Hier hilft kein Bitten, hilft kein Elan,
Umsonst sind alle Klagen;
Gefällt’s euch nicht, so könnt ihr gehn,
Am Hungertuche nagen.

Nun denke man sich diese Not
Und Elend dieser Armen;
Zu Hause keinen Bissen Brot,
Ist das nicht zum Erbarmen?

Erbarmen? Ha! ein schön Gefühl,
Euch Kannibalen! fremde;
Ein jeder kennt schon euer Ziel:
Es ist der Armen Haut und Hemde.

O! Euer Geld und euer Gut,
Das wird dereinst zergehen
Wie Butter an der Sonne Glut,
Wie wird’s um euch dann stehen?

Wenn ihr dereinst nach dieser Zeit,
Nach diesem Freudenleben,
Dort, dort in jener Ewigkeit
Sollt Rechenschaft abgeben?

Doch ha! sie glauben an keinen Gott,
Noch weder an Höll und Himmel,
Religion ist nur ihr Spott,
Hält sich ans Weltgetümmel.

Ihr fangt stets an zu jeder Zeit,
Den Lohn herabzubringen,
Und andre Schurken sind bereit,
Eurem Beispiel nachzuringen.

Der Reihe nach folgt Fellmann nach,
Ganz frech ohn‘ alle Bande,
Bei ihm ist auch herabgesetzt
Der Lohn, zur wahren Schande.

Die Gebrüder Hofrichter sind,
Was soll ich ihnen sagen?
Nach Willkür wird auch hier geschind’t,
Dem Reichtum nachzujagen.

Und hat auch einer noch den Mut,
Die Wahrheit nachzusagen,
Dann kommt’s so weit, es kostet Blut,
Und dann will man verklagen.

Herr Cammlott, Langer genannt,
Der wird dabei nicht fehlen,
Einem jeden ist es wohl bekannt,
Viel Lohn mag er nicht geben.

Wenn euch, wie für ein Lumpengeld,
Die Ware hingeschmissen,
Was euch dann zum Gewinne fehlt,
Wird Armen abgerissen.

Sind ja noch welche, die der Schmerz
Der atmen Leut beweget,
In deren Busen noch ein Herz
Voll Mitgefühle schläget.

Die miissen, von der Zeit gedrängt,
Auch in das Gleis einlenken,
Der andern Beispiel eingedenk
Sich in dem Lohn einschränken.

Ich sage, wem ist’s wohl bekannt,
Wer sah vor zwanzig Jahren
Den übermüt’gen Fabrikant
In Staatskarossen fahren?

Sah man dort wohl zu jeder Zeit
Paläste hoch erbauen?
Mit Türen, Fenstern, prächtig weit,
Ist’s festlich anzuschauen!

Wer traf wohl dort Hauslehrer an
Bei einem Fabrikanten?
In Livreen Kutscher angetan,
Staats-Domestiken, Gouvernanten!

Melodie: „Es liegt ein Schloß in Österreich“

 

Das Hungerlied

Verehrter Herr und König,
Weißt du die schlimme Geschicht?
Am Montag aßen wir wenig,
Und am Dienstag aßen wir nicht.

Und am Mittwoch mussten wir darben
Und am Donnerstag litten wir Not;
Und ach, am Freitag starben
Wir fast den Hungertod!

Drum lass am Samstag backen
Das Brot fein säuberlich –
Sonst werden wir sonntags packen
Und fressen, o König, dich!

Georg Weerth (1822–1856), entstanden während der Weberaufstände im Jahr 1844

 

Der schlesische Weberaufstand weckte das öffentliche Bewusstsein für die Soziale Frage. Bekanntestes Beispiel für die vielfältige zeitgenössische literarische Auseinandersetzung mit dem Weberaufstand 1844 ist das Gedicht „Die schlesischen Webervon Heinrich Heine. Es erschien unter dem Titel „Die armen Weber“ schon am 10. Juli 1844 im „Vorwärts!“ und wurde als Flugblatt in einer Auflage von 50.000 Stück in den Aufstandsgebieten verteilt. Die uns heute vertraute Fassung in fünf Strophen entstand 1845 und trug spätestens ab 1846 den Namen „Die schlesischen Weber“. Anders als viele Gedichte dieser Zeit beklagt das sogenannte Weberlied nicht nur die Ausbeutung durch die Fabrikbesitzer, sondern wendet sich auch an Autoritäten, kritisiert allgemeine politische Umstände und drängt auf Veränderung:

Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
»Deutschland, wir weben Dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch –
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten
In Winterskälte und Hungersnöten;
Wir haben vergebens gehofft und geharrt,
Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt –
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpreßt,
Und uns wie Hunde erschießen läßt –
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt –
Wir weben, wir weben!

Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht –
Altdeutschland, wir weben Dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch,
Wir weben, wir weben!«


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