Zum 31. Juli 1943

Lida Gustava Heymann (deutsche Frauenrechtlerin) †.

Lida Gustava Heymann gehörte neben ihrer Arbeits- und Lebensgefährtin Anita Augspurg zu den prominentesten Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung. Sie gilt mit Anita Augspurg auch als Initiatorin des Verbands für Frauenstimmrecht 1902, einem Schwerpunkt der Deutschen Frauenbewegung um die Jahrhundertwende. Ihre internationale Bedeutung erlangt sie als Mitbegründerin des ersten Internationalen Frauenfriedenskongresses vom 28. bis 30. April 1915 in Den Haag.

Es waren nicht mehr viele PazifistInnen übrig geblieben, die sich 1914 der Kriegstreiberei verweigerten. Die meisten ließen sich mitreißen. Lida Gustava Heymann war eine der ersten, die sich trauten, öffentlich ihre Stimme zu erheben. Schon einen Monat nach Kriegsbeginn schrieb sie in der Zeitschrift „Die Frauenbewegung“: „Wir trauern mit den Frauen aller Nationen, die ihr Liebstes hergeben mussten, oder denen ihr Liebstes verstümmelt an Leib und Seele heimkehrt. Wir reichen den Frauen aller Nationen, die mit uns gleichen Sinnes sind, die Hand.“ Trotz Hausdurchsuchung und weiterer Schikanen der Obrigkeit beließ sie es nicht bei dieser mutigen Geste, sondern rief zur großen Frauenfriedenskonferenz auf: „Frauen Europas, wann erschallt euer Ruf? Wo bleibt eure Stimme? Seid ihr nur groß im Dulden und Leiden? Versucht zum mindesten, dem Rad der Zeit, menschlich, mutig und stark, würdig eures Geschlechtes, in die blutigen Speichen zu greifen!“

Lida Gustava Heymann war als „höhere Tochter“ in Hamburg groß geworden. Ihr unbestechlicher Gerechtigkeitssinn und ihre früh ausgeprägte Sensibilität für die Ungleichheit zwischen Mann und Frau trieben sie an, sich sozial und politisch zu betätigen. Sie baute einen Mittagstisch für arbeitende Frauen und einen Kinderhort auf, erweiterte ihn zur Beratungsstelle und gründete politische Vereine. „Bildungssurrogate“ für Mädchen und Frauen lehnte sie ab und gründete Reformschulen. Öffentlich setzte sie sich für die Rechte von Prostituierten ein.

Einschüchtern ließ sie sich nicht. Als die Versammlungen verboten wurden, führte sie sie in ihrem Haus fort. Zwei Polizeibeamten, die als Spitzel erschienen, erklärte sie, dass sie nicht berechtigt seien, in ihrem Privathaus Mitgliederversammlungen mit Gasten zu überwachen und fügte höflich hinzu: „Meine Herren, ich habe aber nichts dagegen, wenn Sie als meine Gaste bleiben und zuhören wollen; jeder, der anwesend ist, kann nur lernen.“ Lakonisch bemerkt sie: „Sie blieben, störten aber nicht.“

Als Heymann 1896 die 11 Jahre ältere Frauenrechtlerin Anita Augspurg kennenlernte, waren beide Frauen außergewöhnlich unabhängige Persönlichkeiten, die sich für die damalige Zeit unerhörte Freiheiten nahmen. Als Freundinnen und Lebensgefährtinnen führten die beiden Pazifistinnen ihren Kampf für Frieden und Frauenrechte gemeinsam fort. Sie waren davon überzeugt, dass das eine ohne das andere nicht zu erreichen ist. Das Stimmrecht für Frauen war 1918 durchgesetzt. Heymann und Augspurg hatten sich mit aller Kraft dafür eingesetzt, betrachteten es aber lediglich als notwendige Voraussetzung für weitere politische Arbeit. Gemeinsam gaben sie die pazifistisch-feministische Zeitschrift „Die Frau im Staat“ heraus. Ihre Perspektive war immer international.

Befreiung von jeder Knechtschaft, Freiheit und Gerechtigkeit für Mann und Frau – mit weniger wollten sie sich nicht zufriedengeben. Früh erkannten sie die Gefahr, die von den Nationalsozialisten ausging, denen sie sich in den 1920er Jahren in München entgegenstellten. 1933 kehrten die beiden von einer Reise nicht nach München zurück, sondern gingen in die Schweiz. Ihr Besitz wurde von den Nazis geraubt; ihnen blieb nichts als das Reisegepäck. Dennoch verbitterten sie nicht. Heymann schreibt in ihren Memoiren: „Wer der Zeit und der Entwicklung weit vorausschreitenden Ideen den Weg bereiten will, darf niemals auf schnelle, greifbare Erfolge rechnen; er muss sich mit Rückschlagen und Versagen kraftvoll abfinden. Erfolglosigkeit ändert an der Richtigkeit der Ideen, die wir vertraten, nicht das geringste. Mögen diese Ideen heute in Deutschland und anderswo in der Welt bekämpft oder verhöhnt, völlig unterdruckt werden, sie werden wiedererstehen, wenn die Zeit reif ist.“

Diese Hoffnung blieb ihr, als sie 1943 im Exil in Zürich starb.

(Renate Firgau, Mutige Schwestern, in: Versöhnung. Rundbrief des Internationalen Versöhnungsbundes 1/2016, S. 16)


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