Zum 31. Juli 1566

Dieser erste Chronist und Fürsprecher der Indios verfasste 1542 die „Brevíssima relación de la destruccíon de las Indias“ („Kurzgefasster Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder“), die 1552 veröffentlicht wurde und eine heftige Diskussion um Menschen- oder Tiernatur der Indios auslöste. Die erste deutsche Ausgabe erschien 1597, die deutsche Übersetzung von Andreä 1790, neu herausgegeben 1966 von Hans Magnus Enzensberger. Reinhold Schneider formuliert in „Las Casas vor Karl V.“ (1959) die heftige Kritik Las Casas’ an der Conquista und den Streit mit seinem kirchlichen Kontrahenten Sepúlveda.
„Ich möchte ihnen von einer Berufung berichten, die sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts zugetragen hat. Der junge spanische Adelige Bartolomé de Las Casas war nach seinem Rechtsstudium mit Landsleuten nach Amerika gesegelt. Dort profitierte er wie die andern Spanier von der Arbeit der Indios. Nachdem er zum Priester geweiht worden war, feierte er seine erste Messe in der neuen Welt. Noch immer aber kritisierte er die brutale Ausbeutung und Unterdrückung der Indios durch die damaligen Spanier nicht. Dies änderte sich schlagartig, als er zu Pfingsten des Jahres 1514 Gottesdienst feiern und predigen sollte. Bei der Vorbereitung auf die Predigt stieß er auf einen Text aus dem Buch Jesus Sirach. Dort las er im 34. Kapitel: ‚Ein kärgliches Brot ist der Lebensunterhalt der Armen; wer ihm dies entzieht, ist ein Mörder. Wer ein Opfer darbringt vom Gute des Armen ist wie einer, der den Sohn schlachtet vor des Vaters Augen. Ein Brandopfer von ungerechtem Gut ist eine frevelhafte Gabe’ (Sir 34,25.24.21).
Dieser Text öffnete Bartolomé de Las Casas die Augen. Es ging ihm auf, dass das Brot, das er in der Eucharistiefeier Gott darbringen wollte, den Armen gestohlen worden war. Da konnte er nicht mehr mitmachen. Er verzichtete auf alle seine Güter und setzte sich von da an mit all seinen juristischen, theologischen und politischen Fähigkeiten für die Befreiung der Indios ein.
Bei seiner Berufung hat sich Bartolomé de Las Casas für die armen Indios entschieden. Im Licht der Bibel hat er über deren Lebensverhältnisse nachgedacht. Daraufhin hat er sich für die Befreiung der Indios eingesetzt. Deshalb gilt Bartolomé de Las Casas, der einige Jahre nach seiner Berufung Dominikaner wurde und später eine Zeitlang Bischof war, heute zurecht als erster Befreiungstheologe Lateinamerikas.“ (Urs Eigenmann, Nicht im Drüben fischen. Worte zum Sonntag, Edition Exodus, Luzern 1992, S. 95f.)


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