Zum 30. April 1977

Einige Frauen um Hebe de Bonafini und Azucena Flor aus der kirchlichen Basisgemeinde in Buenos Aires ziehen zum Zeichen ihrer Trauer weiße Kopftücher an. Sie fahren zur Plaza de Mayo, dem zentralen Platz der Republik, wo der Kardinalerzbischof und der Staatspräsident wohnen. Dort ist das Demonstrieren verboten. Deshalb gehen die Frauen ruhigen Schrittes im Kreis. „Wir bleiben immer in Bewegung.“

Sie tragen weiße Kopftücher, auf denen mit dunkelblauem Faden Name und Lebensdaten ihrer verschleppten Männer, Töchter und Söhne aufgestickt sind, deren Fotos sie in Händen halten. Weder glühende Hitze noch Regen, weder Knüppel noch Tränengas, weder Diffamierung als Terroristinnen noch Brandmarkung als Landesverräterrinnen konnten diese „Verrückten“ in all den Jahren abhalten, von der argentinischen Regierung ihr Recht zu fordern: Auskunft über den Verbleib ihrer Angehörigen. Ein knappes Dutzend waren sie anfangs, die unter Lebensgefahr demonstrierten. Azucena Villaflor, die Gründerin der „Mütter“, ist in Esma, dem Folterzentrum der damaligen Militärdiktatur, ums Leben gekommen. Heute sind die Madres von der Plaza de Mayo eine international bekannte Menschenrechtsgruppe geworden mit Verbindungen zur UNO und dem Europarat. Ihre Angehörigen blieben „verschwunden“. Doch sie kämpfen inzwischen für ihre „neuen Kinder“, die sozial Schwachen, die politischen Gefangenen Argentiniens und für die Kinder, die in den Konzentrationslagern geboren und unrechtmäßig adoptiert werden. „Eine Mutter zu sein, bedeutet jetzt, sich für das Leben einzusetzen, für die Würde des Menschen und seine Rechte.“

Frankfurter Rundschau vom 27. Januar 2006

Während der Militärdiktatur in Argentinien (1976–1983) „verschwanden“ rund 30.000 Menschen: verschleppt, gefoltert, die meisten getötet, aus dem Flugzeug über dem Meer abgeworfen. Bis heute sind nur wenige Fälle aufgeklärt.

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