Zum 3. Oktober 1943

Die Protesterklärung der Bischöfe der dänischen lutherischen Staatskirche gegen die Judenverfolgung wird von allen 1200 Kanzeln als Hirtenbrief verlesen.

Am 29. September 1943 ließen die Bischöfe der dänischen lutherischen Staatskirche den Vertretern der Besatzungsmacht durch die dänische Regierung eine Protesterklärung übergeben. Ihr Text wurde von den sieben Bischöfen der lutherischen Staatskirche auch an alle Pfarrer gesandt und am 3. Oktober 1943 von allen 1200 Kanzeln als Hirtenbrief verlesen:

Wenn eine Verfolgung von Juden aus rassischen oder religiösen Gründen erfolgt, ist es die Pflicht der christlichen Kirche, dagegen zu protestieren.

Erstens: Weil wir niemals vergessen dürfen, dass der Herr der Kirche, Jesus Christus, in Bethlehem von der Jungfrau Maria geboren wurde gemäß der Verheißungen Gottes an sein auserwähltes Volk Israel. Die Geschichte des jüdischen Volkes bis zur Geburt Christi enthält die Vorbereitung auf das Heil in sich, das Gott für die ganze Menschheit in Christus bereitet hat. Das wird durch die Tatsache verdeutlicht, dass das Alte Testament Teil unserer Bibel ist.

Zweitens: Weil eine Verfolgung von Juden in krassem Gegensatz zu den Werten der Humanität und der Nächstenliebe steht, die sich aus der Botschaft herleiten, die die Kirche Jesu Christi zu verkündigen hat. Es gilt kein Ansehen der Person vor Christus, und Er hat uns zu sehen gelehrt, dass jedes einzelne menschliche Leben vor Gottes Angesicht wertvoll ist (Galater 3, 28).

Drittens: Weil es gegen das Rechtsbewusstsein verstößt, das im dänischen Volk gilt und das fest eingewurzelt wurde in den Jahrhunderten dänisch-christlicher Kultur. Auf Grund dessen wird in der Verfassung festgestellt, dass alle dänischen Bürger die gleichen Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben sowie eine garantierte Religionsfreiheit als das Recht, Gott zu verehren entsprechend ihrer Berufung und ihres Gewissens. Diese (Religions-) Freiheit garantiert, dass Rasse und Religion als solche niemals der Grund sein dürfen für die Beraubung der Bürgerrechte, der Freiheit oder des Eigentums. Trotz divergierender religiöser Anschauungen werden wir für unsere jüdischen Brüder und Schwestern kämpfen, dass sie dieselbe Freiheit behalten, die wir höher schätzen als das Leben.

Wir Leiter der dänischen Kirche besitzen ein klares Verständnis unserer Verpflichtung, gesetzestreue Bürger zu sein, die sich nicht unbedacht gegen die erheben, die die Macht über uns ausüben. Aber zur selben Zeit sind wir in unserm Gewissen gebunden, Gerechtigkeit zu verlangen und zu protestieren gegen jegliche Verletzung der bürgerlichen Rechte. Deswegen, sollte der Augenblick der Entscheidung kommen, werden wir unzweideutig das Wort befolgen, dass wir Gott mehr gehorchen müssen als den Menschen.

Im Namen der Bischöfe: H. Fuglsang-Damgaard.

Zitiert aus: Paul Gerhard Schoenborn, “Er sitzt am Schmelztiegel”. Erinnerungen an den dänischen Pastor und Dichter Kaj Munk, in: Deutsches Pfarrerblatt 1/2014, S. 14–20 (S. 18).


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