Zum 29. Januar 1989

Memorial ist eine der ältesten und wichtigsten Bürgerrechtsorganisationen Russlands und genießt international hohes Ansehen. Memorial widmet sich vor allem der Aufarbeitung der Repressionen in der Stalin-Ära und positioniert sich regelmäßig zu Menschenrechtsfragen, steht aber unter wachsendem staatlichen Druck.

Diese bekannteste russische Nichtregierungsorganisation ging aus der in den Jahren der Perestroika entstandenen Massenbewegung hervor. Erste Initiativgruppen gehen bereits auf das Jahr 1987 zurück. Im Jahr 1988 wurde die Memorial als Gesellschaft für historische Aufklärung, Menschenrechte und Fürsorge gegründet (Gründungskonferenz der Allunionsgesellschaft am 29. Januar 1989) zunächst mit dem Ziel, den Opfern der stalinistischen Verbrechen zu helfen. (Sergej Kowaljow hatte bereits zwei Jahrzehnte zuvor eine Initiativgruppe für den Schutz der Menschenrechte in der UdSSR gebildet — mit dem hohen persönlichen Risiko eines politischen Dissidenten.) Erster großer Erfolg war ein 1991 verabschiedetes Gesetz „Über die Rehabilitierung der Opfer politischer Repression“. Danach entwickelte sich Memorial immer mehr zur Menschenrechtsgruppe. Die Bewegung wurde von breiten Kreisen der gesellschaftlichen Reformbewegung getragen — von Menschen unterschiedlicher Generationen und Schicksale. Dazu gehörten nicht nur ehemalige politische Gefangene und ihre Angehörigen, sondern auch die Jugend. Der erste Vorsitzende der Gesellschaft war der Atomphysiker und Dissident Andrej Sacharow. Memorial hat inzwischen ein gewaltiges historisches Archiv geschaffen, das die Namen von weit über einer Million verfolgter Personen enthält sowie Zehntausende Lebensberichte und Dokumente über die Zeit der großen Terrorwellen. Die Organisation hat sich in ein weit gefächertes Netzwerk verwandelt; neben einer international agierenden Organisation gibt es mehr als 60 russische Verbände in verschiedenen Regionen. Im Jahre 1992 wurde die Gesellschaft Memorial von einer Allunionsgesellschaft in eine Internationale Gesellschaft umgewandelt; gleichzeitig wurde die Russische Gesellschaft Memorial gegründet.

Heute vereinigt die Forschungs- und Menschenrechtsorganisation Memorial rund 80 unabhängige Organisationen auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR (in Russland, der Ukraine, in Kasachstan, Moldawien, Armenien und Georgien) und über die Grenzen hinaus (in Polen, in Deutschland). Die Organisation verbindet die historische Aufarbeitung des repressiven Sowjetsystems mit der Menschenrechtsarbeit zu Problemen in der Russischen Föderation heute.

Am 22. Juni 2001 wurde Memorial mit dem Eric-Maria-Remarque-Friedenspreis (Sonderpreis) ausgezeichnet. Am 20. Juni 2004 erhielt Memorial den mit 100.000 Dollar dotierten Nansen-Flüchtlingspreis des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen. Im selben Jahr wurde Memorial mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Am 22. Oktober 2009 erhielt Memorial den Sacharow-Preis für Geistesfreiheit des Europaparlaments, am 14. November 2009 den Victor-Gollancz-Preis der Gesellschaft für bedrohte Völker. Im Jahr 2022 wurde Memorial mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Am 28. Dezember 2021 hat das Oberste Gericht Russlands die Internationale Geschichts- und Menschenrechtsorganisation Memorial und ihre regionalen Abteilungen liquidiert. Es geht um den Teil der NGO Memorial, der sich nicht auf aktuelle Menschenrechtsverletzungen in Russland spezialisiert, sondern auf historische Forschung und Aufklärung zum Thema politische Repressionen in der UdSSR – vor allem zum Terror Stalins. Vor dem Moskauer Stadtgericht läuft allerdings ein weiteres Vefahren gegen das Menschenrechtszentrum der Memorial-Gruppe, auch ihm droht die Liquidation.

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