Zum 26. April 1986

Am 26. April 1986 kam es im Atomkraftwerk Tschernobyl in der Ukraine während eines Experiments zur Kernschmelze. Zwei Explosionen zerstörten Reaktor 4 des Lenin-Kraftwerks, während dieser sich in vollem Betrieb befand. Eine radioaktive Wolke breitete sich über ganz Europa aus. Die Katastrophe setzte etwa 500-mal mehr Strahlung frei als die Atombombe auf Hiroshima 1945.

Wieviele Menschen infolge dieser Reaktorkatastrophe ihr Leben verloren, ist bis heute heftig umstritten: Während die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) von nur 50 Toten bis 2005 sprach und sich damit lächerlich machte, gehen andere Experten von insgesamt mehreren 10.000 bis zu etlichen 100.000 Todesopfern (ost)europaweit aus. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält es für gesichert, dass mindestens 8000 Menschen ums Leben kamen.

AKW-Techniker und Feuerwehrleute warfen sich der Strahlung als Erste entgegen. Über 30 von ihnen verbrannte die dabei inhalierte Radioaktivität in den nächsten Wochen quasi von innen. Danach kamen Ingenieure, Facharbeiter, Soldaten, insgesamt waren 800.000 Sowjetbürger im Einsatz. Zehntausende verloren ihr Leben, Hunderttausende ihre Gesundheit. Die Region mit einem Radius von 30 Kilometern um den havarierten Reaktorblock wurde zum Sperrgebiet erklärt. Zwei Städte und zahlreiche Dörfer wurden evakuiert, 250.000 Menschen umgesiedelt. Der Super-GAU von Tschernobyl wird als die „größte technologische Katastrophe in der Menschheitsgeschichte“ angesehen. Tschernobyl wurde aber auch „Schauplatz einer der größten Massenheldentaten in der Geschichte Europas“ (Stefan Scholl, Der Geschmack von Tschernobyl, Frankfurter Rundschau vom 22. April 2016).

Was hierzulande kaum bekannt ist: Unter dem Kernkraftwerk lag ein gewaltiges Wasserreservoir. Hätte sich der schmelzende Atomkern, eine Art hochradioaktive Lava, nach unten durch das Fundament des Gebäudes gefressen und dieses Bassin erreicht, hätte sich eine Explosion ereignet, wie sie die Menschheit zuvor noch nie erlebt hat. Hätten Alexei Ananenko, Valeri Bespalov und Boris Baranow (+ 2005) nicht unter Lebensgefahr das Wasserbassin unter dem Kraftwerk abgelassen, hätten es nach dem GAU von Tschernobyl gut und gerne 20 oder 25 Millionen Tote geben können, schätzen Experten heute.

Gut 30 Jahre nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl hat die Ukraine die 30-Kilometer-Schutzzone um den havarierten Reaktor in ein Biosphärenreservat umgewandelt. Ein entsprechender Erlass von Staatschef Petro Poroschenko trat am 1. August 2016 in Kraft, wie das Präsidialamt in Kiew mitteilte. Vorausgegangen waren Gesetzesnovellen, die den Bau von Windkraft- und Solaranlagen sowie wissenschaftliche Forschung in der rund 227.000 Hektar großen Region ermöglichen. Inzwischen staunen Wissenschaftler über das Naturleben in der verstrahlten Region. Wildpferde, Wölfe und Elche kehrten in das Gebiet zurück, aus dem der Mensch sie zuvor verdrängt hatte. Auf der weißrussischen Seite der Unglücksregion gibt es bereits seit 2010 ein Biosphärenreservat.

Literatur:

  • Gerd Ludwig, Der lange Schatten von Tschernobyl, Edition Lammerhuber, Baden 2016, Neuauflage zum 30. Jahrestag der Reaktorkatastrophe

 

 


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