Zum 24. April 2013

Vor der Einsturzstelle der Textilfabrik haben Angehörige ein 1,50 Meter hohes Denkmal errichtet, auf dessen Sockel steht: „Ruht in Frieden. Unsere Erinnerungen bergen Milliarden Tränen. Wir werden nicht vergessen.“ –

Mehr als zweieinhalb Jahre nach dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch hat ein Gericht im Dezember 2015 die Festnahme von 24 Verdächtigen angeordnet. Sie seien des Mordes angeklagt, aber flüchtig, teilte der zuständige Richter Mohammad Al Amin mit. Staatsanwalt Anwarul Kabir sagte der Nachrichtenagentur AFP, insgesamt seien 41 mutmaßlich Verantwortliche des Mordes angeklagt. Das Gericht hatte diese Klagen angenommen. Neben der Festnahme der 24 Flüchtigen ordnete das Gericht auch an, ihre Vermögen zu beschlagnahmen. Erst im Juni 2016, mehr als drei Jahre nach der Katastrophe, wurde ein Prozess gegen 18 Angeklagte angeordnet. Verurteilt wurde auch zehn Jahre nach der Katastrophe noch niemand.

Das Abkommen für Gebäudesicherheit und Brandschutz wurde bereits vor zwei Jahren mit Beteiligung der internationalen Clean Clothes Campaign, lokalen sowie internationalen Gewerkschaften und Arbeitsorganisationen erarbeitet. Vor der Katastrophe hatten nur PVH (Tommy Hilfinger und Calvin Klein) und Tchibo unterzeichnet. Nach dem Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes sind mittlerweile 220 internationale Textilunternehmen dem Vertragswerk unter dem Titel „Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh“ (Bangladesh Accord) beigetreten. Zwei Millionen Arbeiterinnen in 1600 Fabriken profitieren davon. Textil-Giganten wie Inditex (Zara) und H&M, aber auch mehr als 40 deutsche Unternehmen haben sich dem Abkommen verpflichtet: von Adidas und Aldi über Esprit und Lidl bis zu Otto, Puma und Tschibo. Doch es gibt noch immer Verweigerer wie die US-amerikanischen Firmen Gap und Walmart, aber auch deutsche Unternehmen wie NKD und das Label New Yorker.

Kernelemente des Abkommens sind u.a. unabhängige Gebäudeinspektionen, Trainings zu Arbeitsrechten und eine Überarbeitung der Sicherheitsstandards. Bangladesch ist nach China der zweitgrößte Textilproduzent der Welt. Das Abkommen ist rechtlich bindend und daher in seiner Form bislang einzigartig. Verstöße können angezeigt und die Einhaltung rechtlich durchgesetzt werden. Darin unterscheidet sich das Abkommen von anderen Initiativen, die nur eine freiwillige Selbstverpflichtung beinhalten. Allerdings ist das auch der Grund, warum sich einige Unternehmen, vor allem US-amerikanische, weigern, dem Abkommen beizutreten. Die Unternehmen verpflichten sich für fünf Jahre, in die Sicherheit ihrer Zulieferfabriken zu investieren. Jedoch: „Das Abkommen gilt für Bangladesh, aber nicht für Pakistan oder Kambodscha, es enthält kein Wort über die Missachtung der Arbeiterrechte, über Löhne unter dem Existenzminimum, tägliche Überstunden, über fehlende Gesundheits- oder Altersversorgung. Und schon gar keines über die gewaltsame Unterbindung gewerkschaftlicher Betätigung. Kein Wort zu der erbarmungslosen Konkurrenz, die den Produzenten in Asien von den Einkäufern aus Europa oder den USA aufgezwungen wird: eine Konkurrenz, die in den Chefs von Rana Plaza die Verbrecher fand, ohne die sie nicht funktionieren würde. Seit der Unterzeichnung des Abkommens ist nichts geschehen, gar nichts.” (Thomas Seibert von der Frankfurter Hilfsorganisation medico international in: Frankfurter Rundschau vom 12. Juli 2013) Zudem sind die Fortschritte nur auf ein Land – Bangladesch – beschränkt und dort auch noch auf einen einzigen Produktionsschritt: „Die Menschen im Baumwollanbau, in Spinnereien, Webereien und Färbereien bleiben alle außen vor“, betont Kirsten Clodius, Arbeitsrechtsexpertin der Kampagne für Saubere Kleidung gegenüber der Frankfurter Rundschau. Das bedeutet: Für das Gros der Belegschaften ist alles beim schlechten Alten geblieben. Dabei seien die hiesigen Unternehmen für alle Schritte des Herstellungsprozesses zumindest mitverantwortlich, sagt Sabine Ferenschild vom Institut für Ökonomie und Ökumene Südwind. (Frankfurter Rundschau vom 28. Januar 2014)

Am 1. September 2021 ist ein Nachfolgeabkommen zur Sicherheit in Textilfabriken in Bangladesch in Kraft getreten (International Accord for Health and Safety in the Textile and Garment Industry), auf das sich internationale Modeketten und Gewerkschaften geeinigt haben, da jenes vor acht Jahren geschlossene Abkommen Ende August 2021 ausgelaufen ist. Es wurde mittlerweile auch auf Pakistan ausgedehnt.

Im Juli 2013 hat das Parlament in Dhaka (Bangladesch) zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen ein schärferes Arbeitsrecht verabschiedet. Das neue Gesetz sieht die Einrichtung von Gewerkschaften vor. Zudem wird ein Fonds gegründet, um die Lebensumstände von Arbeitern zu verbessern. Firmen müssen künftig fünf Prozent ihrer Gewinne für Sozialleistungen verwenden. Fabrikbetreiber müssen vor baulichen Veränderungen die Zustimmung von Regierungsinspektoren einholen. Und das Abschließen von Notausgängen ist nun verboten. Inzwischen, zwei Jahre nach dem Einsturz der Textilfabrik, erfüllen viele Firmen höhere Sicherheits- und Sozialstandards, „Rana Plaza war der Wendepunkt“.

Das Rana-Plaza-Koordinationskomitee hat am 8. Juni 2015 bekanntgegeben, dass alle notwendigen Gelder für die volle Entschädigung der Opfer des Unglücks innerhalb der nächsten Wochen bereitstehen und ausgezahlt werden. Nach Schätzungen des Komitees, dass die Industrievertreter repräsentiert, wurden 30 Millionen US-Dollar benötigt, um sicherzustellen, dass allen Opfern eine faire und angemessene Entschädigung gemäß ILO-Übereinkommen gezahlt werden kann. Anlässlich des zweiten Jahrestages des Rana-Plaza Unglücks im April 2015 standen bereits 27 Millionen Dollar zur Verfügung. Das Komitee zahlte 70 Prozent an zugesagten Entschädigungen an mehr als 2.800 Antragsteller aus. Weitere Mittel – vor allem eine bedeutende Summe, die letzte Woche einging – ermöglichten es, das 30 Millionen Dollar-Ziel zu erreichen. Nun können auch die letzten Entschädigungen ausgezahlt werden.

Die Frauenrechts-NGO Femnet, das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) sowie die bangladeschische Gewerkschaft NGWF reichten auf Grundlage des im Januar 2023 in Kraft getretenen Lieferkettengesetzes beim zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) eine Beschwerde gegen den Einrichtungskonzern Ikea und den Onlinehändler Amazon ein, wie die Organisationen am 24. April 2023 mitteilten. Grundlage dafür ist eine im März 2023 in Bangladesch durchgeführte Recherche der Gewerkschaft National Garment Workers Federation (NGWF), bei der Sicherheitsmängel wie fehlende Inspektionen, aber auch andere Arbeitsrechtsverletzungen wie mangelnde Gewerkschaftsfreiheit festgestellt wurden.


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