Zum 16. Oktober 2017

Die international ausgezeichnete Journalistin Daphne Caruana Galizia war für ihre investigative Arbeit bekannt. Immer wieder hatte sie aufgedeckt, wie stark Korruption in Malta verwurzelt ist. Allein in den letzten Jahren hatte sie ein gutes Dutzend Skandale enthüllt, von denen jeder für sich eine Regierung stürzen könnte. Auch an der Aufarbeitung der „Panama Papers“ war sie beteiligt. Ihr letzter Tweet, den sie kurz vor ihrer Ermordung abgesetzt hatte, lautete: „Überall Gauner, wohin man schaut. Die Situation ist zum Verzweifeln. 16.10.2017“.

Caruna Galizia habe sichtbar gemacht, wie eng in dem EU-Land das Geflecht von Politik, Justiz und Wirtschaft ist und unter welchem Druck Journalisten arbeiteten, erklärte die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG). Gegen Caruna Galizia lagen 47 Verleumdungsklagen vor. Mehr als zwei Drittel dieser Klagen wurde von Regierungsmitgliedern und ihren Wirtschaftspartnern erhoben.

Auf die Zivilgesellschaft in Malta hat der Mord wie ein Weckruf gewirkt: Jeden Monat versammeln sich seitdem Anhänger von NGOs wie „Occupy Justice“ oder „Il-Kenniesa“ und Tausende maltesische Bürger am „Monument of the Great Siege“ gegenüber dem Gerichtshof in Valletta. Sie wollen nicht ruhen, bis alle Fragen beantwortet sind. „Die Situation ist zum Verzweifeln“ – dieser letzte Satz Daphne Caruana Galizias wurde zum Programm für die Demonstranten, die ihn auf lange Schals druckten und diese vor Banken und Regierungsgebäuden aufhängten.

Im Dezember 2017 wurden drei Verdächtige verhaftet, landesbekannte Mitglieder der maltesischen Mafia. Die Beweislage ist erdrückend. Trotzdem weiß man bis heute (16. Oktober 2019) wenig mehr als damals. Die Beschuldigten leugnen die Tat und schweigen, ihre Anwälte haben das Beweisermittlungsverfahren mit allen Mitteln verzögert. Von den Hintermännern fehlt jede Spur. Im September 2019 hat die maltesische Regierung eine öffentliche Untersuchung angeordnet. Ein Ergebnis soll innerhalb von neun Monaten vorgelegt werden.

Am Morgen des 20. November 2019 nahm der Fall eine unerwartete Wendung: Einer der reichsten Geschäftsmänner Maltas, Yorgen Fenech, wurde von der Küstenwache verhaftet, als er im Morgengrauen versuchte, auf seiner Yacht von den Inseln zu fliehen. Fenech steht bei Kennern der politischen Szene seit längerem im Verdacht, an der Ermordung von Daphne Caruana Galizia direkt oder indirekt beteiligt gewesen zu sein. Die Vermutung: Fenech wollte einen Bestechungsskandal vertuschen, den die Journalistin aufgedeckt hatte – so der politische Blogger Manuel Delia. Über Yorgen Fenechs Firma „17 Black“ sollten Millionenbeträge auf Offshore-Konten mehrerer Minister der Labour-Regierung fließen – diese Information hatte Caruana Galizia kurz vor ihrem Tod veröffentlicht. Beweise dafür waren erst nach ihrer Ermordung gefunden worden. Der Verhaftung Fenechs ging eine dramatische Vorgeschichte voraus: Laut Berichten der „Times of Malta“ und „Malta Today“ war am 14. November 2019 bei einer Razzia ein Mann verhaftet worden, der sich als „Mittelsmann“ in dem Mordfall zu erkennen gab. Der 41-jährige Melvin Theuma hat nach eigener Aussage den oder die Auftraggeber der Mordtat mit den kriminellen Bombenbauern zusammengebracht, die bereits seit Dezember 2017 in Haft sind. Am 26. November 2019 ist Keith Schembri, Stabschef von Premierminister Joseph Muscat, zurückgetreten. Wenig später trat auch Tourismusminister Konrad Mizzi zurück, kurz darauf suspendierte sich Wirtschaftsminister Chris Cardona selbst. Am 30. November 2019 wurde Yorgen Fenech des Mordes und der Förderung einer kriminellen Vereinigung beschuldigt und offiziell angeklagt. Mitte Januar 2020 hat der maltesische Polizeichef Lawrence Cutajar sein Amt niedergelegt. Am 20. Januar 2020 ist die maltesische Ministerin für die Insel Gozo wegen der Kontakte ihres Mannes, Ex-Vizepolizeichef Silvio Valletta, zu Yorgen Fenech zurückgetreten.

Am 23. Februar 2021 hat sich Vincent M., einer der Angeklagten, über seinen Anwalt schuldig bekannt. Am 24. Februar 2021 hat Maltas Staatsanwaltschaft Anklage gegen zwei weitere Verdächtige erhoben: Robert A. und Jamie V. werden beschuldigt, an der Besorgung der Bombe beteiligt gewesen zu sein, mit der die Reporterin getötet wurde.

Am 20. März 2021 ist der langjährige Kabinettschef der maltesischen Regierung, Keith Schembri wegen Korruption angeklagt worden. Schembri gehört zu einer Reihe von Politikern aus dem engsten Kreis um den damaligen Regierungschef Joseph Muscat, die die Enthüllungsjournalistin Daphne Caruana Galizia der Korruption beschuldigt hatte, bevor sie 2017 ermordet wurde.

Der am 29. Juli 2021 veröffentlichte Abschlussbericht einer unabhängigen Untersuchungskommission, deren Einsetzung gegen den Willen der maltesischen Regierung vom Europäischen Rat erst durch ein Ultimatum erzwungen worden war, hat im Fall der vor vier Jahren ermordeten Journalistin Daphne Caruana Galizia schwere Vorwürfe gegen Maltas Regierung erhoben. Diese habe dabei versagt, die bekannte Journalistin vor Gefahren für ihr Leben zu beschützen. Die Spitze des Staates habe eine „Kultur der Straflosigkeit“ geschaffen, heißt es in der Untersuchung durch einen amtierenden und zwei pensionierte Richter. „Die Tentakel der Straflosigkeit griffen dann auf andere Behörden und die Polizei über und führten zu einem Zusammenbruch der Rechtsstaatlichkeit.“

Wie so häufig in den letzten Jahren waren auch am Donnerstagabend, nach der Veröffentlichung des Berichtes, protestierende Bürger vor den Regierungssitz gezogen, um weitere Rücktritte und tiefgreifendere politische Folgen zu fordern. Die schärfste Kritik richtet sich jetzt gegen den ehemaligen Premierminister Joseph Muscat, in dessen Amtszeit die Journalistin ermordet worden war. Ihn und seine Labour-Regierung hatten bereits Ende 2019 die größten Demonstrationen, die der kleine Inselstaat seit seiner Gründung 1974 erlebte, wegen dem Fall Caruana Galizia zum Rücktritt gezwungen. Muscat ist als damaliger Regierungschef für viele dafür verantwortlich, dass die „Straflosigkeit die schweigende Zustimmung, wenn nicht sogar den Segen des gesamten Kabinetts“ genossen habe.

Literatur:

  • Daphne Caruana Galizia, Sag die Wahrheit, auch wenn deine Stimme zittert. Die Aufzeichnungen der ermordeten maltesischen Journalistin. Mit einem Vorwort von Roberto Saviano, Orell Füssli Verlag, Zürich 2020

Zu Ehren der maltesischen Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia ist am 14. Oktober 2021 in Brüssel erstmals der mit 20.000 Euro dotierte Daphne-Caruana-Galizia-Preis für investigativen Journalismus des EU-Parlaments verliehen worden. Mit ihm werden herausragende Journalisten geehrt, deren Arbeit sich mit den Werten und Prinzipien der EU befasst.

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