Zum 15. Januar 1919

Rosa Luxemburg, die Kämpferin für den Sozialismus und gegen den Krieg, ist am 15. Januar 1919 zusammen mit Karl Liebknecht in Berlin-Wilmersdorf von der dortigen Bürgerwehr aufgespürt und verhaftet worden. Am Abend werden beide ins Eden-Hotel abgeführt, dem Stabsquartier der Gardekavallerieschützendivision unter Hauptmann Waldemar Pabst, der sich telefonisch von Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) eine carte blanche für das Vorgehen gegen die „Aufständischen“ geben lässt. Beide Gefangenen sind schwersten Misshandlungen ausgesetzt. Karl Liebknecht wird im Berliner Tiergarten „auf der Flucht erschossen“ und als „unbekannter“ Toter ins Leichenschauhaus eingeliefert. Die beschimpfte und körperlich misshandelte Rosa Luxemburg soll in das Moabiter Gefängnis überführt werden; beim Abtransport wird sie mit einem Gewehrkolben niedergeschlagen und, schon im Auto, durch einen aufgesetzten Gewehrschuss ermordet. Ihre Leiche, in der Nacht in den Landwehrkanal geworfen, wird erst am 1. Juni 1919 geborgen.

Rosa Luxemburgs letzter Leitartikel in der „Roten Fahne“ unter dem Titel: „Die Ordnung herrscht in Berlin“ vom 14. Januar 1919 ist zu ihrem Vermächtnis geworden. Er endet mit den Sätzen: Die Führung hat versagt. Aber die Führung kann und muss von den Massen und aus den Massen heraus neu geschaffen werden. Die Massen sind das Entscheidende, sie sind der Fels, auf dem der Endsieg der Revolution errichtet wird. Die Massen waren auf der Höhe, sie haben diese „Niederlage“ zu einem Glied jener historischen Niederlagen gestaltet, die der Stolz und die Kraft des internationalen Sozialismus sind. Und darum wird aus dieser „Niederlage“ der künftige Sieg erblühen. „Ordnung herrscht in Berlin!“ Ihr stumpfen Schergen! Eure „Ordnung“ ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich morgen schon „rasselnd wieder in die Höh‘ richten“ und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden: Ich war, ich bin, ich werde sein! (Der letzte Satz zitiert den 1848er Revolutionär Ferdinand Freiligrath, der die Revolution mit diesem ursprünglich biblischen Ausdruck als wiederkehrenden „roten Faden” der Geschichte würdigte.)

Am 15. Januar 1919 erscheint in der „Roten Fahne“, der letzten offiziellen Ausgabe bis zum Februar, ein Artikel von Karl Liebknecht, der mit dem Satz endet: Und ob wir dann noch leben werden, wenn es (das Ziel) erreicht wird – leben wird unser Programm. Es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen. Trotzalledem.

Anlässlich der traditionellen Gedenkkundgebung (am Sonntag vor dem bzw. am Sonntag, dem 15. Januar auf dem Friedhof Friedrichsfelde in Berlin) unterzeichneten am 11. Januar 2004 elf sozialistische und kommunistische Parteien aus ganz Europa in Berlin den Gründungsaufruf für eine gemeinsame europäische Linkspartei. Zentrale Ziele der neuen Partei sind mehr soziale Gerechtigkeit sowie die Ablehnung von Krieg und Aufrüstung.

1913 rief Rosa Luxemburg auf einer Kundgebung zu Kriegsdienstverweigerung, Befehlsverweigerung und Widerstand gegen den absehbaren europäischen Krieg auf. Sie wurde deshalb wie andere Antimilitaristen während fast der gesamten Kriegsdauer inhaftiert.

Luxemburgs zweifellos berühmtestes Zitat ist der zweite Satz des folgenden Diktums aus ihrem letzten Manuskript, das zu ihren Lebzeiten nicht mehr veröffentlicht wurde und je nach Herausgeber den Titel „Die Russische Revolution“ oder „Zur russischen Revolution“ trägt: Hingegen ist eine offenkundig unbestreitbare Tatsache, dass ohne freie ungehemmte Presse, ohne ungehindertes Vereins- und Versammlungsleben gerade die Herrschaft breiter Volksmassen völlig undenkbar ist. […] Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie auch noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der ‚Gerechtigkeit‘, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die ‚Freiheit‘ zum Privilegium wird.

Am 16. Februar 1917 schrieb Rosa Luxemburg aus der Festungshaft in Wronke an ihre Freundin Mathilde Wurm: Ich fühle mich in der ganzen Welt zu Hause, wo es Wolken und Vögel und Menschentränen gibt.

Weitere Zitate:

Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution.

Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele keines Terrors, sie hasst und verabscheut den Menschenmord.

Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht.

 

Rosa Luxemburg, Kirche und Sozialismus

 

Karl Liebknecht, Sohn des legendären sozialdemokratischen Parteigründers Wilhelm Liebknecht, ist auf seinem politischen Weg weder zum Berliner Platzhalter der russischen Bolschewisten geworden, noch fühlte er sich als deutscher Lenin. Er war ein sozialistischer Demokrat, der den Marxismus ablehnte. Er kritisierte den preußischen Militarismus wie kaum ein anderer im Kaiserreich. Er erkannte schon in der Juli-Krise von 1914 und in den folgenden Wochen des nationalistischen Kriegstaumels hellsichtig, wohin der Weg von Krieg und Gewalt führen musste, den am Ende auch seine sozialdemokratischen Genossen zu gehen bereit waren. Die deutschen Historiker brauchten ein halbes Jahrhundert länger, um die Wahrheit von Schuld und Versagen der deutschen Eliten auszusprechen.

Karl Liebknecht war ein Wahrheitssucher und Menschenfreund. Er kritisierte die von Marx, Lenin und Rosa Luxemburg geforderte Führung der Massen durch die Parteielite und glaubte an die Kraft der Mehrheit. Er blieb als Rechtsanwalt, als Parteimitglied, als Landtags- und Reichstagsabgeordneter seinen humanistischen und sozialistischen Ideen treu, kämpfte gegen das preußische Dreiklassen-Wahlrecht und die soziale Ungleichheit im wilhelminischen Staat. Zweimal in seiner politischen Laufbahn ging er ins Gefängnis, weil er die aggressive Militär- und Außenpolitik des Kaiserreiches anklagte und dabei auch die korrupten Verbindungen zwischen Kriegsministerium und Rüstungsindustrie (Krupp) aufdeckte.

Bei der Abstimmung über die Kriegskredite am 2. Dezember 1914 blieb Liebknecht als einziger Abgeordneter sitzen, als der Reichstagspräsident die Mitglieder des Hauses aufforderte, ihre Zustimmung durch das Aufstehen von ihren Plätzen zu dokumentieren. Gegen den Willen der SPD-Führung befürwortete Liebknecht am 1. Mai 1916 die Massendemonstrationen, die ein Ende des Krieges forderten. Es wurde in und außerhalb seiner Partei einsam um diesen Einzelkämpfer.

Am Ende stand der Irrtum: Liebknecht war überzeugt, dass die große Mehrheit der Deutschen nach den Schrecken des Krieges und angesichts der dafür Verantwortlichen eine Rätedemokratie forderten. Die SPD-Führung um Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann sah das sehr viel realistischer. Mit dem Spartakusaufstand im Januar 1919 verließ Liebknecht – zögernd, verzweifelt und dem ungeheuren Druck der aktuellen Ereignisse erlegen – den Weg der Gewaltlosigkeit. Seine Mörder warteten bereits auf ihn.

Aus dem Artikel „Der Mann, der sitzen blieb“ von Wilhelm von Sternburg, Frankfurter Rundschau vom 13. August 2021


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