Zum 12. Januar 1904

In „Deutsch-Südwestafrika“ wurden mit Duldung der Kolonialverwaltung und der „Schutztruppe“ die Einheimischen durch betrügerischen Handel in den Ruin getrieben und ihres Landes beraubt. 1904 kam es zum Aufstand der um ihren Landbesitz fürchtenden Herero und Nama, gegen den die deutschen Truppen mit besonderer Brutaltät vorgingen. Nach der Schlacht am Waterberg wurden die Herero in die Omaheke-Wüste getrieben und verhungerten dort. Wer umkehrte und sich den Siegern ergab, wurde in Lager verschleppt, in denen die Allermeisten nicht überlebten. Den Nama im Süden wurde ein ähnliches Schicksal zuteil. Experten gehen davon aus, dass etwa 65.000 der 80.000 Herero und mindestens die Hälfte der 20.000 Nama getötet wurden.

Dies war der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. So steht es im „Whitaker Report“ der Vereinten Nationen. Dies belegen die Vernichtungsbefehle des Generals von Trotha gegen die Herero 1904 und gegen die Nama 1905 im Namen des deutschen Kaisers: „Deshalb halte ich es für richtiger, dass die Nation in sich untergeht und nicht noch unserer Soldaten infiziert und an Wasser und Nahrungsmitteln beeinträchtigt (…) Sie müssen jetzt im Sandfeld untergehen“, schrieb General von Trotha in seinem „Lagebericht“ zu den Herer

Am 18. September 2001 verklagte das Volk der Herero die Bundesrepublik Deutschland auf Reparationszahlungen.

Die deutsche Regierung hat anlässlich des hundertsten Gedenktags des Herero-Aufstands im Jahr 2004 erstmals eingeräumt, dass es sich bei dem Rachefeldzug der „Schutztruppe“ gegen die aufständischen Herero und Nama um einen Völkermord handelte. Im Juli 2016 hat die deutsche Regierung erstmals in einem offiziellen Dokument die Massaker an den Herero und Nama als Völkermord anerkannt.

Am 5. Januar 2017 haben Vertreter der Volksgruppen der Herero und Nama aus Namibia in New York eine Sammelklage gegen Deutschland eingereicht mit dem Ziel, Entschädigungszahlungen wegen der Anfang des 20. Jahrhunderts begangenen Kolonialverbrechen zu erhalten.

Nachfahren der von deutschen Kolonialverbrechen in Namibia betroffenen Menschen fordern eine Neuverhandlung des deutsch-namibischen Abkommens zum Völkermord an Herero und Nama. Die legitimen Vertreter der Opfergruppen müssten – anders als bisher – daran beteiligt werden, heißt es in einer am 26. Januar 2022 bei einer Online-Pressekonferenz vorgestellten Petition an Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).

 

Ungesühnter Völkermord

Am 12. Januar jährte sich zum hundersten Mal der Ausbruch des Kolonialkrieges, den das Deutsche Kaiserreich von 1904 bis 1908 im damaligen „Deutsch-Südwestafrika“ (heute Namibia) führte. Der Krieg ging als Vernichtungsfeldzug gegen die Herero in die Geschichtsbücher ein, im allgemeinen Bewusstsein der Deutschen spielt er jedoch kaum eine Rolle. Dabei reichen die Folgen bis in die Gegenwart. Im September 2001 reichten Nachkommen der Herero in den USA eine Sammelklage gegen zwei deutsche Unternehmen und die Bundesregierung ein. Nach dem Vorbild der Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter fordern sie Wiedergutmachung für Völkermord und Zwangsarbeit in Milliardenhöhe.
Der von Jürgen Zimmerer und Joachim Zeller herausgegebene Band „Völkermord in Deutsch-Südwestafrika“ bietet eine ausgezeichnete Einführung in das Thema: Er rekapituliert die Vorgeschichte, beschreibt den Krieg aus deutscher wie afrikanischer Perspektive und analysiert dessen Folgen.
1884 hatte das Deutsche Reich seinen Anspruch auf „Südwestafrika“ erklärt. Eine so genannte „Schutzherrschaft“ sollte die deutsche Besiedelung des Landes absichern. Um Siedler anzuwerben, verschenkte das Deutsche Reich großzügig Farmland, das der einheimischen Bevölkerung zuvor durch zweifelhafte Verträge, Enteignungen und erzwungene Landräumungen weggenommen worden war. Die militärische Präsenz der Deutschen war zunächst äußerst schwach, denn Bismarck wollte keine Soldaten in Afrika opfern. Doch im Januar 1904 brach in „Deutsch-Südwest“ ein Aufstand aus: Die Herero setzten sich gegen die Expansionspolitik der Kolonialmacht zur Wehr und griffen deutsche Siedler an.
Das Kaiserreich verstärkte daraufhin seine Truppen im „Schutzgebiet“ und ernannte Lothar von Trotha zum Oberbefehlshaber, einen General, der sich schon in anderen Kolonialkriegen als erbarmungslos erwiesen hatte. Nach der entscheidenden Schlacht am Waterberg, im August 1904, ließ von Trotha die besiegten Herero in die Omaheke-Wüste treiben und besetzte die Wasserstellen mit seinen Soldaten. Die eingekesselten Herero verdursteten zu Tausenden in der Wüste.
Dass General von Trotha die Vernichtung des gesamten Volkes beabsichtigte, beweist sein so genannter „Ausrottungsbefehl“ vom Oktober 1904: „Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber oder Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen.“ Doch damit nicht genug. Im Dezember 1904 befahl Kaiser Wilhelm II., Konzentrationslager einzurichten, um die überlebenden Herero zu sammeln. Rund die Hälfte der Gefangenen starb in den folgenden Jahren aufgrund grausamer Haftbedingungen und Zwangsarbeit.
Die Frage, ob den Nachkommen der Herero Entschädigungszahlungen zustehen, wird in dem Sammelband nicht explizit beantwortet. Doch dass es sich bei der Vernichtung der Herero um einen Völkermord im juristischen Sinne handelt, ist unter den Autoren unumstritten. Herausgeber Jürgen Zimmerer spricht von einem „Präludium für ein Jahrhundert des totalen Krieges“. Für ihn ist der „erste Genozid des 20. Jahrhunderts“ auch „der erste der deutschen Geschichte, als solcher schon auf Späteres verweisend“.

Wera Reusch, Besprechung des Buches „Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904–1908) in Namibia und seine Folgen“, herausgegeben von Jürgen Zimmerer und Joachim Zeller, Ch. Links Verlag, Berlin 2003, 280 Seiten, 22,90 €, in: ai-journal 2/2004, S. 16.


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