Zum 12. Februar 2005

Die US-Missionarin lebte 30 Jahre mit  armen Siedlern im Amazonas-Regenwald und half ihnen, Landansprüche durchzusetzen. Ihre Idee: Auf bereits abgeholzten Waldstücken sollen Kleinbauern angesiedelt werden, die den noch intakten Wald neben dieser Parzelle nachhaltig nützen und damit gleichzeitig vor den Kettensägen der Konzerne und Holzbarone schützen sollten. Damit machte sie sich Feinde unter mächtigen Holzfällern und Viehzüchtern. Nach mehreren Morddrohungen wurde sie in Anapu von dem Landarbeiter Rayfan das Neves Sales mit sechs Schüssen getötet, während sie ihm aus der Bibel vorlas.

Rayfan Sales bekam 27 Jahre und wurde Anfang Juli 2013 wegen guter Führung unter Auflagen freigelassen, ebenso wie sein Mittäter Clodoaldo Batista. Der Grundbesitzer Vitalmiro Bastos de Moura, der die Mörder beauftragte und bezahlte, ist im Mai 2007 zu 30 Jahren Haft verurteilt worden; im April 2009 wurde er jedoch freigesprochen. Im April 2010 ist er wiederum zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt worden, hat dann allerdings Haftverschonung erhalten. Im September 2013 wurde sein Prozess neu aufgerollt; ein Geschworenengericht in der nordbrasilianischen Stadt Belem sah es als erwiesen an, dass er Dorothy Stang von einem Auftragskiller erschießen ließ, und verurteilte ihn zu 30 Jahren Haft. Auch vier weitere Männer wurden wegen des Verbrechens verurteilt, unter ihnen der Schütze.

Brasiliens Oberstes Gericht hat den Auftraggeber des Mordes an der US-Ordensfrau Dorothy Stang vorläufig auf freien Fuß gesetzt. Der zu 25 Jahren Haft verurteilte Landbesitzer Reginaldo Pereira Galvao solle in Freiheit auf seine Revision vor der vierten Instanz warten, entschied Richter Marco Aurelio Mello. Das Urteil schreibt die Justizposse um den im Jahr 2005 verübten Mord fort. Galvao war 2010 in erster Instanz zu dreißig Jahren Haft verurteilt worden. Ein Gericht hatte ihn für schuldig befunden, für den Mord an Stang mehrere tausend Euro gezahlt zu haben. Im August 2012 entschied Richter Mello, Galvao solle in Freiheit auf seine Berufung vor der zweiten Instanz warten. Ein Berufungsgericht bestätigte später zwar die Strafe, Pereira blieb jedoch weiter auf freiem Fuß. Im Jahr 2017 verkürzte die dritte Instanz die Haftstrafe auf 25 Jahre und ordnete Untersuchungshaft für Pereira an. Nun setzte Mello ihn erneut auf freien Fuß.
Hintergrund ist ein Streit zwischen den Obersten Richtern um die Frage, ob verurteilte Straftäter bis zur Ausschöpfung aller Rechtsmittel in Freiheit bleiben dürfen. Laut Verfassung ist jemand erst schuldig, wenn die oberste, vierte Instanz das Urteil bestätigt. Die katholische Landpastoral Brasiliens erklärte, die Freilassung Galvaos verdeutliche die absurden Zustände rund um die Landfrage in Brasilien.
Stang hatte sich über Jahrzehnte für die Rechte von Kleinbauern im Amazonasgebiet eingesetzt. Im Februar 2005 war die damals 73-jährige Missionarin in der Stadt Anapu erschossen worden. Der Mord und die Gerichtsverfahren erregten internationales Aufsehen. Galvao ist der einzige der fünf Verurteilten, der seine Haftstrafe noch immer nicht angetreten hat. Die Mittäter waren zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden, sind inzwischen jedoch wieder auf freiem Fuß, nachdem ihre Haftzeiten reduziert wurden.
Aus: Publik-Forum Nr. 11 vom 8. Juni 2018

Dorothy Stang ist mehrfach international für ihren Einsatz zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt in den Amazonas-Wäldern ausgezeichnet worden. Am 13. Dezember 2006 wurde ihr posthum der brasilianische Menschenrechtspreis, im Jahr 2008 posthum der Menschenrechtspreis der Vereinten Nationen verliehen. In Brasilien wurde sie zu einem Symbol im Kampf für eine Agrarreform zugunsten der arbeitenden Landbevölkerung.

Nach Stangs Beerdigung wies die Regierung zwei große Naturschutzgebiete aus. In einem davon lebt eine im Jahr 2021 entdeckte bislang unbekannte Eulenart und wurde sie nach der Ordensschwester und Menschenrechtlerin Dorothy Stang benannt, wie die Zeitschrift „Kontinente“ berichtete.


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