Zum 11. September 1973

Der vom US-Geheimdienst CIA unterstützte Putsch in Chile unter Führung von General Augusto Pinochet setzt der demokratisch gewählten Regierung von Präsident Salvador Allende ein jähes Ende.

Schon früh hatten CIA-Agenten versucht, die Wahl des Sozialisten Salvador Allende zum chilenischen Präsidenten zu verhindern. Durch finanzielle Unterstützung der Generalstreiks und Beteiligung an den zahllosen Sabotageversuchen agierten sie gegen seine demokratisch legitimierte Regierung (freigegebene historische Aufzeichnungen des National Security Archive in Washington lassen keinen Zweifel daran, dass der damalige nationaler Sicherheitsberater und Außenminister Henry Kissinger der Hauptverantwortliche für die Bemühungen der USA war, die demokratisch gewählte Regierung von Salvador Allende zu destabilisieren). Am 11. September 1973 putschten die Militärs in Chile. Nach dem Beschuss der Moneda, dem Regierungssitz, in Santiago boten sie dem demokratisch gewählten marxistischen Präsidenten Salvador Allende an, mit seiner Familie ins Exil zu gehen. Doch dieser lehnte ab und wandte sich in dem einzigen noch nicht in militärischer Hand befindlichen Rundfunksender um 11 Uhr ein letztes Mal mit folgenden Worten an das Volk, bevor er sich während der Besetzung des Palastes das Leben nahm:

Es ist sicherlich das letzte Mal, dass ich mich an euch wende. Die Luftstreitkräfte haben die Sendeanlagen von Radio Portales und Radio Corporacion bombardiert. Meine Worte sind nicht von Bitternis geprägt, sondern von Enttäuschung. Sie sind auch die moralische Züchtigung derjenigen, die den Eid, den sie geleistet haben, gebrochen haben: Soldaten Chiles, amtierende Oberbefehlshaber und Admiral Merino, der sich selbst ernannt hat, der verachtungswürdige General Mendoza, der noch gestern der Regierung seine Treue und Loyalität bezeugte und sich ebenfalls selbst zum Generaldirektor der Karabineros ernannt hat. Angesichts solcher Tatsachen kann ich den Werktätigen nur eines sagen: Ich werde nicht zurücktreten. In eine historische Situation gestellt, werde ich meine Loyalität gegenüber dem Volk mit meinem Leben bezahlen. Und ich kann euch versichern, dass ich die Gewissheit habe, dass nichts verhindern kann, dass die von uns in das edle Gewissen von Tausenden und Abertausenden Chilenen ausgebrachte Saat aufgehen wird. Sie haben die Gewalt, sie können zur Sklaverei zurückkehren, aber man kann weder durch Verbrechen noch durch Gewalt die gesellschaftlichen Prozesse aufhalten. Die Geschichte gehört uns, es sind die Völker, die sie machen.

Werktätige meines Vaterlandes! Ich möchte euch danken für die Loyalität, die ihr immer bewiesen habt, für das Vertrauen, das ihr in einen Mann gesetzt habt, der nur der Dolmetscher der großen Bestrebungen nach Gerechtigkeit war, der sich in seinen Erklärungen verpflichtet hat, die Verfassung und das Gesetz zu respektieren, und der seiner Verpflichtung treu war. Dies sind die letzten Augenblicke, in denen ich mich an euch wenden kann, damit ihr die Lehren aus den Ereignissen ziehen könnt. Das Auslandskapital, der mit der Reaktion verbündete Imperialismus haben ein solches Klima geschaffen, dass die Streitkräfte mit ihren Traditionen brechen, mit den Traditionen, die ihnen von General Schneider gelehrt und von Kommandant Araya bekräftigt wurden. Beide wurden Opfer derselben Gesellschaftsschicht, der gleichen Leute, die heute zu Hause sitzen in Erwartung, durch Mittelsmänner die Macht zurückzuerobern, um weiterhin ihre Profite und ihre Privilegien zu verteidigen.

Ich wende mich vor allem an die bescheidene Frau unserer Erde, an die Bäuerin, die an uns glaubte, an die Arbeiterin, die mehr arbeitete, an die Mutter, die unsere Fürsorge für die Kinder kannte. Ich wende mich an die Angehörigen der freien Berufe, die eine patriotische Verhaltensweise zeigten, an diejenigen, die vor einigen Tagen gegen den Aufstand kämpften, der von den Berufsvereinigungen, den Klassenvereinigungen angeführt wurde. Auch hierbei ging es darum, die Vorteile zu verteidigen, die die kapitalistische Gesellschaft einer kleinen Anzahl der Ihrigen bietet. Ich wende mich an die Jugend, an diejenigen, die gesungen haben, die ihre Freude und ihren Kampfgeist zum Ausdruck brachten. Ich wende mich an den chilenischen Mann, an den Arbeiter, an den Bauern, an den Intellektuellen, an diejenigen, die verfolgt werden, denn der Faschismus zeigt sich bereits seit vielen Stunden in unserem Land: in den Terrorattentaten, in den Sprengungen von Brücken und Eisenbahnen, in der Zerstörung von Öl- und Gasleitungen. Angesichts des Schweigens (…) (von Bombendetonationen übertönt) dem sie unterworfen waren. Die Geschichte wird über sie richten.

Radio Magallanes wird sicherlich zum Schweigen gebracht werden, und der ruhige Ton meiner Stimme wird euch nicht mehr erreichen. Das macht nichts, ihr werdet sie weiter hören, ich werde immer mit euch sein, und ich werde zumindest die Erinnerung an einen würdigen Menschen hinterlassen, der loyal war hinsichtlich der Loyalität zu den Werktätigen. Das Volk muss sich verteidigen, aber nicht opfern. Das Volk darf sich nicht unterkriegen oder vernichten lassen, es darf sich nicht demütigen lassen.

Werktätige meines Vaterlandes! Ich glaube an Chile und sein Schicksal. Es werden andere Chilenen kommen. In diesen düsteren und bitteren Augenblicken, in denen sich der Verrat durchsetzt, sollt ihr wissen, dass sich früher oder später, sehr bald, erneut die großen Straßen auftun werden, auf denen der würdige Mensch dem Aufbau einer besseren Gesellschaft entgegengeht. Es lebe Chile! Es lebe das Volk! Es leben die Werktätigen! Das sind meine letzten Worte, und ich habe die Gewissheit, dass mein Opfer nicht vergeblich sein wird. Ich habe die Gewissheit, dass es zumindest eine moralische Lektion sein wird, die den Treuebruch, die Feigheit und den Verrat verurteilt.

Unmittelbar nach dem Putsch begannen sich Teile der Kirchen zu widersetzen, indem sie Verfolgten Schutz gewährten, ihnen zur Flucht ins Exil verhalfen und die Familienangehörigen, die nach ihren Verschwundenen suchten, unterstützten. Zunächst war es das Ökumenische „Kooperationskomitee für den Frieden“, später, als dieses von der Militärdiktatur verboten wurde, die Vicaría de la Solidaridad. In diesem Solidaritätsvikariat arbeitete der lutherische Bischof Helmut Frenz mit dem katholischen Kardinal Raúl Silva Henriquez zusammen. Sie wurden von anderen Gruppen wie der Agrupación de Familiares de Detenidos Desaparecidos (Verein der Familienangehörigen von Verschwundenen) sowie von Rechtsanwälten unterstützt. Ihr Hauptziel war herauszufinden, was mit den Verschleppten geschah, und Gerechtigkeit zu fordern.

„Der Militärputsch von 1973 beendete einen der weltweit wichtigsten Versuche, nationales Selbstbestimmungsrecht über die eigenen Ressourcen mit einer partizipativen Demokratie zu verknüpfen. Über die repräsentativ-parlamentarische Form ging diese weit hinaus.“
„‘Was lebendig bleibt‘, sagt Carmen Castillo über diese Zeit, ‚ist das Begehren; dieses Begehren können sie nicht töten. Wir haben das Mysterium des Genusses berührt. Das verzeihen sie uns nicht.‘“ „In Carmen Castillos Film ‚Calle Santa Fe‘ über den charismatischen Führer Miguel Henriquez der linksradikalen Partei MIR erzählen Bauern und Landarbeiter von ihrer Subjektwerdung in diesem Aufbruch.“ (Zitiert aus: Katja Maurer, Pinochet, ein Untoter. 50 Jahre nach dem Militärputsch in Chile ist die Erinnerung immer noch umkämpft, in: medico-rundschreiben 04/23, S. 50–53, Zitate S. 52)

 


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