Zum 1. Januar 1968

Es war im bewegten Jahr 1968: Der Gymnasiast Andrea Riccardi hatte mit einigen Gleichgesinnten in Rom soeben eine christliche Gemeinschaft gegründet, in der die Jugendlichen gemeinsam beten und sich für die Armen einsetzen wollten. Sie waren auf der Suche nach einem Lokal – und fanden dieses in dem seit Jahren leerstehenden ehemaligen Karmeliterkloster Sant’Egidio im Ausgehviertel Trastevere. Sie zogen kurzerhand ein. „Die 68er besetzten die Unis, wir besetzten ein Kloster“, erinnert sich Riccardi. Das Kloster hat der Bewegung den Namen geben. Tagsüber kümmerten sich der damals erst 18-jährige Riccardi und seine Freunde um die Einwandererfamilien aus Süditalien, die am Tiber und an der Peripherie der Ewigen Stadt unter unsäglichen Bedingungen in Baracken lebten; abends beteten die Gymnasiasten in der Kapelle des Klosters. Schnell gesellten sich andere dazu, erst in Italien, später auf der ganzen Welt. Bald wurde auch der Papst auf die nur wenige hundert Meter tiberabwärts vom Vatikan wirkenden Idealisten aufmerksam; 1976 wurde die Gruppe offiziell als katholische Laienvereinigung anerkannt.

Neben dem Einsatz für die Armen engagiert sich die Gemeinschaft für den Frieden. So betätigte sich Riccardi – zunächst von allen Seiten belächelt – ab dem Sommer 1990 in seinem Kloster als Vermittler zwischen der Regierung von Mosambik und der Widerstandsbewegung Renamo. Zwei Jahre später wurde in Rom der Friedensvertrag zur Beendigung des Bürgerkriegs unterzeichnet. Seither wird Sant’Egidio auch als „Uno von Trastevere“ bezeichnet. Es folgten Friedensinitiativen in Guatemala, Burundi, Algerien, im Kosovo und im Kongo, mit unterschiedlichem Erfolg. Im Jahr 2006 hat die seit 20 Jahren im Norden des Landes mit Kindersoldaten kämpfende Lords Resistence Army (LRA) durch Vermittlung von Sant’Egidio einen Waffenstillstand ausgerufen. Am 29. August 2006 trat der von der römischen Basisgemeinde Sant‘Egidio vermittelte Waffenstillstand zwischen Regierung und Rebellen in Uganda tritt in Kraft. Im Jahr 2010 hat die Gemeinschaft Sant’Egidio durch Vermittlungen in dem von Gewaltregimes heimgesuchten westafrikanischen Guinea ein Abkommen für eine friedliche Übergangsphase und demokratische Wahlen möglich gemacht; Sant’Egidio hatte Berater sowie Räume für die Friedensverhandlungen angeboten. Am 13. Januar 2020 unterzeichneten alle politischen Parteien aus dem Südsudan in Sant’Egidio ein Friedensabkommen. Jetzt hat die Regierung der Republik Senegal in Westafrika die römische Basisgemeinde Sant’Egidio gebeten, im jahrzehntelangen bewaffneten Konflikt in der Region Casamance zu vermitteln. – Seit den gescheiterten Vermittlungsbemühungen im algerischen Bürgerkrieg Anfang der 1990er Jahre wacht Tag und Nacht ein Streifenwagen der Polizei vor dem unscheinbaren Klostereingang an der Piazza Sant’Egidio.

Einmal im Jahr organisiert Sant’Egidio das Internationale Friedenstreffen, das den Dialog unter den Religionen fördern soll. Es findet jährlich an unterschiedlichen Orten statt, zuletzt 2011 in München. Unter Beteiligung anderer Organisationen hat Sant’Egidio auch die Aktion „Städte für das Leben“ gegründet (vgl. 30. November).

Laut eigenen Angaben zählt Sant’Egidio heute 70.000 Mitglieder in mehr als 70 Ländern der Welt.

Details

 

Literatur:

  • Andrea Riccardi, Die gewaltlose Kraft des Friedens. Aus dem Italienischen übersetzt von Gabriele Stein, Echter Verlag, Würzburg 2018
  • Andrea Riccardi, Die Kirche brennt. Krise und Zukunft des Christentums. bersetzt aus dem Italienischen von Gabriele Stein, Echter Verlag, Würzburg 2023

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