Warten

Ob beim Anstellen an Supermarktkassen, an Bushaltestellen, auf Bahnhöfen, im Wartezimmer von Ärzten, in den Stuben von Ämtern – das WARTEN stirbt aus. Jedenfalls das Warten im Sinne von Nichtstun ohne Ablenkung durch Surfen, Chatten, Spielen. Viele können es sich schon gar nicht mehr vorstellen: gegen die Wand starren. In den Himmel schauen. Andere Leute beobachten. Ausharren und sich in Geduld üben. Aber ist das Ende der Langeweile wirklich eine Erlösung? (Christoph Drießen)

Das Stehen in einer Schlange oder auf Bahnsteigen „macht (…) deutlich, dass das Warten wesentlich ist für die Erfahrung des Zusammenseins, für die zaghafte Möglichkeit von Gemeinschaft. Es ist eine Zeit, in der es Begegnungen geben kann. In die Ärgernisse und Frustrationen der demütigen und kunstlosen Würde des Wartens, das Sich-Übens in Geduld als Achtung vor den anderen, mischt sich die stillschweigende Akzeptanz der geteilten Zeit. Die aufgeschobene, unproduktive Zeit des Wartens, bis man an die Reihe kommt, ist untrennbar verbunden mit jeder Form von Gegenseitigkeit und Kooperation.“ (Jonathan Crary, 24/7. Schlaflos im Spätkapitalismus. Aus dem Englischen von Thomas Laugstien, Berlin 2014, S. 103)

„Es gibt noch einen anderen, für die weiße Welt befremdlich scheinenden Teil im Dadirri: das Abwarten. Unsere Kultur, die Kultur der australischen Ureinwohner, hat uns gelehrt, ruhig zu sein und abzuwarten. Wir versuchen nicht, Dinge zu beschleunigen. Wir lassen alles seinen natürlichen Gang gehen – wie die Jahreszeiten. Wir beobachten den Mond in jeder seiner Phasen. Wir warten auf den Regen, damit er unsere Flüsse fülle und die durstige Erde bewässere, wie auf unseren Gemälden. Wir leben im Rhythmus des Landes. Wenn die Dämmerung anbricht, bereiten wir uns auf die Nacht vor. Morgens stehen wir mit der Sonne auf. Wir schauen uns bei unseren Streifzügen immer wieder die Früchte des Waldes an; doch wir warten, bis sie reif sind; erst dann ernten wir sie. Wir warten auf unsere Jugendlichen, die heranwachsen, Schritt für Schritt, sichtbar in ihren Initiationszeremonien. Wenn ein Verwandter stirbt, so trauern wir eine lange Zeit. Unser Schmerz gehört uns, und wir gestatten ihm, langsam zu heilen.“ (Aus: Miriam Rose Ungunmerr-Baumann, Dadirri – ein Hören, das heilt. Die Heiligkeit des Landes, das Abwarten in der Stille und der geduldige Kampf um Achtung und Respekt, in: Publik-Forum Nr. 3 vom 10. Februar 1995, S. 24f.)


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