Vogelzug

Schätzungsweise 50 Milliarden Vögel sind weltweit zwischen Brut- und Winterregion unterwegs, zwei Drittel davon ziehen nachts. Jede Vogelart hat ihren ganz persönlichen Zugrhythmus, also eine innere Uhr, die genau vorschreibt, wann es Zeit für die jeweilige Reise ist.

ZUGVÖGEL wählen ihre Flugrouten nicht unbedingt nach der kürzesten Strecke, sondern vor allem nach den besten Windströmungen. Auf diese Weise sparen sie – trotz deutlich größerer Distanz – mehr als ein Viertel ihrer Reisezeit. Das haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell berechnet. Nutzen Vögel die Route mit optimalen Windverhältnissen, sparen sie etwa ein Viertel der Reisezeit ein. Die Folge: Die Tiere überleben die Reise eher, pflanzen sich eher fort – und können ihr Wissen über die optimale Flugroute möglicherweise von einer Generation zur nächsten weitergeben.

Wie sich Zugvögel überhaupt orientieren, ist noch nicht abschließend geklärt. Experten vermuten, dass sie das Magnetfeld der Erde nutzen.

Die Küstenseeschwalbe (Sterna paradisaea) gilt als der Zugvogel mit der längsten Zugstrecke überhaupt, da sie in der Nordpolarregion brütet und in den Südpolarregionen überwintert. Küstenseeschwalben bewältigen jährlich eine Strecke von bis zu 80.000 Kilometern – das entspricht dem doppelten Umfang der Erde. Noch beeindruckender ist die Flugleistung, wenn man sie auf die Lebensdauer der Vögel hochrechnet: Nicht einmal 200 Gramm wiegend, bringt es eine Küstenseeschwalbe im Laufe ihres etwa 30 Jahre währenden Lebens auf fast 2,4 Millionen Flugkilometer. Die langen Strapazen der Wanderungen überwindet sie mittels eines „Schlafs im Fluge“: Während die eine Gehirnhälfte schläft, navigiert und steuert die andere den Flug.
Das Gefieder der Küstenseeschwalbe ist weiß bis hellgrau gefärbt. Im Prachtkleid ist der Schnabel der Küstenseeschwalbe einheitlich rot gefärbt. Beim sogenannten Stoßtauchen wird die Wasseroberfläche von den Vögeln zunächst in einem langsamen Suchflug sorgfältig abgesucht. Hat die Küstenseeschwalbe eine Beute entdeckt, kippt sie mit halbgeschlossenen Flügeln plötzlich in die Senkrechte ab und stößt im steilen Winkel nach unten. Der Vogel verschwindet beim Eintauchen vollständig im Wasser, kommt aber nach kurzer Zeit mit den Flügeln zuerst wieder hervor. Küstenseeschwalben verteidigen ihre Jungen aufopferungsvoll. Sie fliegen jedem Eindringling entgegen und empfangen ihn mit heftigen Schnabelhieben. Selbst auf Menschen fliegen sie im Sturzflug zu.

Wenn Störche, Gänse oder Kraniche gen Süden ziehen oder von ihren langen Reisen zurückkehren, fliegen sie oft in auffälligen Staffel- oder V-Formationen zusammen. Biologen der Humboldt-Universität zu Berlin haben nachgewiesen, dass dieses Verhalten nicht nur Energie spart, sondern auch die Kooperation der Tiere fördert. Der Grund für diese besonderen Formationen: Hinter den Flügeln eines Vogels entsteht beim Flug eine sogenannte Luftwalze mit einem Aufwind. Ein nachkommender Vogel kann diesen Aufwind nutzen und muss so weniger mit den Flügeln schlagen, was Energie spart.
Um zu verstehen, wie die Zugvögel das Problem lösen, dass nicht alle Vögel in einer Formation in gleicher Weise profitieren können, begleiteten die Forscher für ihre Studie junge Waldrappe. Alle Vögel der Gruppe bekamen kleine GPS-Datensammler auf den Rücken gebunden. Es zeigte sich, dass sie sich abwechseln und darauf achten, dass jeder genau gleich viel Zeit sowohl in der unvorteilhaften Führungsposition als auch in der energiesparenden Folgeposition verbringt.

Um Zugvögeln einen sicheren Flug zu ermöglichen, haben die Niederlande am 13. Mai 2023 erstmals die Windräder in den Windparks Borssele und Egmond aan Zee in der Nordsee für vier Stunden gedrosselt. Wie die niederländische Regierung mitteilte, hat damit eine Pilotphase begonnen, bevor ab Herbst diese Maßnahme regelmäßig stattfinden soll.

  • Scott Weidensaul, Auf Schwingen um die Welt. Die globale Odyssee der Zugvögel. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel, Carl Hanser Verlag, München 2023
  • Film „Nomaden der Lüfte – Das Geheimnis der Zugvögel“ (Regisseure: Jacques Perrin, Jacques Cluzaud, Michel Debats), 2001

Zweiter Samstag im Mai: Weltzugvogeltag


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