Pilze – Die „Bienen des Bodens“* / Mykorrhiza

Im untersten Stockwerk des Waldes, im tiefsten Waldschatten, macht sich eine seltsame Gesellschaft breit: Aus Totholz, Laub und Moder brechen die bunten Hüte der PILZE hervor. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden als Pilze nur diese sichtbaren Fruchtkörper bezeichnet. Der eigentliche Pilz ist jedoch überwiegend das feine weitverzweigte unterirdische Netz der Pilze, Mycel genannt. Der größte Teil eines Pilzes lebt also im Verborgenen. Ein feines, weißes Geflecht aus mikroskopisch dünnen Pilzfäden, das Mycel, durchzieht den Boden, das Holz oder ähnliche Substrate, stets auf der Suche nach Wasser und neuer Nahrung. Das Mycel übt alle Funktionen aus, die bei Pflanzen normalerweise von Wurzeln, Stamm und Blättern erfüllt werden.

Der farbige Schirm, den wir auf dem Waldboden und auf stehendem oder liegendem Totholz sehen, ist der Fruchtkörper des Pilzes: Er wurde nur zu einem einzigen Zweck erschaffen: der Vermehrung. Alle höheren Pilze vermehren sich durch Sporen, die an verschiedenen Stellen des Fruchtkörpers sitzen. Die Sporen rieseln millionenfach zu Boden, werden vom leichten Windstoß oder von fließendem Regenwasser erfasst und zu neuen Wuchsplätzen gebracht. Sind Untergrund, Feuchtigkeitsangebot und Temperaturen geeignet, keimt aus den Sporen ein Fadengeflecht, und ein neuer Pilz entsteht.

Pilze, die von totem Material leben, erfüllen als Zerstörer und Zersetzer eine sehr wichtige Aufgabe im Naturhaushalt. Die Mehrzahl der bekannten Waldpilze erschließt sich die Substanz abgestorbener Blätter, Nadeln und Hölzer. Zusammen mit vielen anderen Kleinstlebewesen sorgen die Pilze dafür, dass die toten Pflanzenteile in Humus und Mineralstoffe zersetzt werden, die wiederum für andere Pflanzen eine neue Nahrungsquelle bilden. Ohne diesen umfassenden Recyclingprozess würde die Natur unter der Last ihrer Abfallprodukte ersticken.

Die Fähigkeit der Pilze, tote organische Substanz in Nährstoffe umzuwandeln, machen sich viele höhere Pflanzen, vor allem Waldbäume zunutze. Sie bilden mit den Pilzen eine Lebensgemeinschaft, eine „Symbiose“ – der Fachbegriff dafür heißt MYKORRHIZA („Pilz-Wurzel-Beziehung“). Dabei umspinnt das unterirdische Fadengeflecht des Pilzes die Baumwurzeln. Damit erleichtern sie dem Baum die Stoffaufnahme aus dem Boden und versorgen ihn mit Wasser, Mineralsalzen und Stickstoff. Als „Gegenleistung“ bezieht der Pilz vom Baum Kohlenhydrate und andere organische Verbindungen, die dieser mittels Sonnenlicht, Wasser und Kohlendioxid (CO2) in seinen grünen Blättern gebildet hat. Die Zusammenarbeit ist für den Baum so wirkungsvoll, dass er an den entsprechenden Wurzeln keine weiteren Fein- oder „Haarwurzeln“ zur Wasser- und Nährstoffaufnahme mehr bildet, sondern die ganze Arbeit dem Pilz überlässt. Ohne das Pilzgeflecht im Boden wäre der Wald nicht lebensfähig. Über die Mycorrhiza tauschen die Bäume auch untereinander Informationen aus, und Pilzmyzelien können mit mehreren Bäumen, ja sogar mit anderen Pilzen verbunden sein. Dieses „Wood Wide Web“, das Internet des Waldes, wie es die Zeitschrift „Nature“ treffend benannte, ist eine gigantische unterirdische Datenautobahn mit Millionen von Verbindungsstraßen. In einem einzigen Teelöffel Walderde befinden sich kilometerlange Pilzgeflechte, winzige Leitungen, die ganze Wälder vernetzen. Doch äußere Faktoren können dieses Zusammenleben stören. Dies sind vor allem hohe Stickstoff-Einträge aus der Landwirtschaft oder Bodenverdichtung bei der Holzernte mit schwerem Gerät, die die empfindliche Mykorrhiza-Gemeinschaft schädigen.

Von den geschätzt zweieinhalb Millionen Pilzarten weltweit sind bislang nur etwa fünf Prozent beschrieben. Deutschland beherbergt nach heutigem Kenntnisstand mehr als 14.000 Pilzarten, darunter 6120 verschiedene Großpilze. Verbreitungsdaten und Bilder von Pilzen findet man hier.

Chile bezog im Jahr 2013 als erstes Land der Welt den Schutz von Pilzen in sein Umweltrecht ein.

Um auf die Gefährdung heimischer Pilze aufmerksam zu machen, wird seit 1994 jährlich durch die Deutsche Gesellschaft für Mykologie der Pilz des Jahres ausgerufen. Pilz des Jahres 2024 ist der Schopf-Tintling.

 

* Diese Metapher stammt von dem Umweltmikrobiologen Lukas Wick

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  • Merlin Sheldrake, Verwobenes Leben. Wie Pilze unsere Welt formen und unsere Zukunft beeinflussen. Aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Vogel, Ullstein Verlag, Berlin 2020

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