Nigerdelta

Das NIGERDELTA ist das Mündungsdelta des Nigers in Nigeria. Seine Fläche beträgt ungefähr 70.000 Quadratkilometer, seine Breite über 200 Kilometer. Das Nigerdelta zählt zu den größten Feuchtgebieten der Erde. Das verzweigte Flusssystem beherbergt die größten Mangrovenwälder des afrikanischen Kontinents. Sie belegen eine Fläche von ca. 11.134 Quadratkilometern entlang des Küstensaums und dehnen sich bis weit ins Hinterland aus. Das Nigerdelta beherbergt zahlreiche vom Aussterben bedrohte Tierarten wie das Sumpfkrokodil, den Manati und das Zwergflusspferd. 31 Millionen Menschen leben in dem Mündungsgebiet des drittgrößten Flusses Afrikas.

Aus 5000 Bohrquellen und 7000 Kilometern Rohrleitungen werden im Nigerdelta pro Tag mehr als zwei Millionen Fass Öl gefördert. Beteiligte Unternehmen sind Shell, Chevron, ExxonMobil und Total, die teils in Joint Ventures mit dem nigerianischen Staat agieren. Durch Pipelines bzw. durch die Erdölförderung wird die Umwelt enorm verschmutzt. Die Umweltorganisation Friends of the Earth geht davon aus, dass schon mehr als elf Millionen Barrel Öl entwichen seien und die Lebensgrundlage Tausender Menschen zerstört haben. Im Jahr 2013 führten die genannten Missstände zur „Nominierung“ des Deltas unter den „Top 10 der am stärksten verseuchten Gebiete der Erde“ durch das Blacksmith Institute. Wie Amnesty International und das Zentrum für Umwelt, Menschenrechte und Entwicklung (CEHRD) in einem am 3. November 2015 veröffentlichten Bericht mitteilten, habe der Mineralöl-Gigant Shell die Öffentlichkeit vorsätzlich mit der Behauptung getäuscht, vier stark verschmutzte Gebiete im nigerianischen Nigerdelta gesäubert zu haben; die Kontaminierung im größten Ölfördergebiet Afrikas sei noch immer mit bloßem Auge zu sehen.

Am 10. November 1995 wurden Ken Saro-Wiwa und acht weitere Angeklagte gehängt. Saro-Wiwa entstammte den Ogoni, einem indigenen Volk im Nigerdelta. Saro-Wiwa hatte sich als Bürgerrechtler in seiner Heimat für Umweltschutz und Menschenrechte eingesetzt. Im Jahr 1989 gründete er die Organisation Movement for the Survival of the Ogoni People (MOSOP; „Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes“). Ziele von MOSOP waren unter anderem die Sanierung der durch die Erdölförderung geschädigten Gebiete sowie die Beteiligung der Bevölkerung an den Einnahmen aus der Erdölförderung. Diese Ziele sollten ohne den Einsatz jeglicher Gewalt erreicht werden. Saro-Wiwa wurde während seiner Zeit in MOSOP mehrmals durch die nigerianische Militärregierung verhaftet und oft ohne einen Prozess monatelang festgehalten. Im Mai 1994 schließlich wurden er und acht weitere Mitglieder von MOSOP ein weiteres Mal verhaftet, diesmal mit der Begründung, sie hätten Anstiftung zum Mord begangen. Nach über einem Jahr Haft kam es zu einem spektakulären Schauprozess vor einem eigens einberufenen Tribunal. Der Prozess gipfelte am 30. Oktober 1995 in der Verurteilung Saro-Wiwas und seiner acht Mitstreiter zum Tode. Kritiker warfen der in Nigeria engagierten Royal-Dutch-Shell-Gruppe eine Mitschuld am Tode des Schriftstellers und Ogoni-Führers sowie acht seiner Mitstreiter vor. Außerdem wird dem Unternehmen vorgeworfen, die Umwelt im Niger-Delta verwüstet und die Lebensgrundlagen der dort lebenden Menschen erheblich beeinträchtigt zu haben. Am 9. Juni 2009 verglich sich der Konzern außergerichtlich mit den Hinterbliebenen von Ken Saro-Wiwa und den anderen acht Hingerichteten und zahlte 15,5 Millionen US-Dollar, um nicht vor einem US-Bezirksgericht wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt zu werden. Einer Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep) zufolge würde eine umfassende Sanierung des Ogonilandes 25 bis 30 Jahre in Anspruch nehmen und bis zu einer Milliarde Dollar kosten.
Amnesty International kritisiert den Umgang des Ölkonzerns mit dem Problem der Ölverschmutzungen in der Region und wirft ihm eine Taktik der „Verschleierung und Desinformation“ vor, was deren Ausmaß betrifft.

Am 26. Januar 2017 hat ein britisches Gericht Sammelklagen von mehr als 40.000 Bewohnern des nigerianischen Nigerdeltas gegen den Ölkonzern Shell wegen Umweltverschmutzung abgewiesen. Der High Court folgte der Argumentation des britisch-niederländischen Konzerns, wonach der Fall vor einem Gericht in Nigeria verhandelt werden sollte.

Vier nigerianische Bauern und Fischer aus den Dörfern Goi, Oruma und Ikot Ada Udo im Südosten Nigerias sowie Milieudefensie, der niederländische Arm von Friends of the Earth haben im Jahr 2008 eine Klage angestrengt, weil Ackerland im Nigerdelta durch ausgetretenes Öl verseucht worden war. Bereits 2013 war Shell-Nigeria in erster Instanz zur Zahlung von Schadenersatz in einem Fall verurteilt worden. Beide Seiten hatten hiergegen Berufung eingelegt. Am 29. Januar 2021 entschied das Berufungsgericht im niederländischen Den Haag, dass Shell die betroffenen Dörfer zum Ausgleich für die Umweltkatastrophe entschädigen muss, weil eine Unternehmenstochter verantwortlich für die Umweltschäden dort ist. Über die Höhe wurde seitdem verhandelt. Wie die Umweltorganisation und Shell am 23. Dezember 2022 mitteilten, zahlt der Ölkonzern Shell an die drei Dörfer im Nigerdelta und Einzelkläger 15 Millionen Euro Entschädigung. Allerdings haben die Öllecks zahllose weitere Dörfer im Nigerdelta ihrer Lebensgrundlage beraubt.

 


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