Mitgefühl

Mit allen Sinnen mit-fühlen. Mit den Augen, mit den Ohren, mit dem Verstand und mit dem Herzen. MITGEFÜHL braucht Zeit und Geduld zum Schauen, zum Fühlen und zum Verstehen. Mitgefühl ist Anteilnahme. Wer mitfühlt, nimmt mit einem anderen am gleichen Übel teil. Mitgefühl erfordert die ganze humane Aufmerksamkeit und Teilnahme. Mitgefühl ist Liebe, die mitgeht und zugleich Distanz wahrt. Wer das Leiden, den Schmerz, das Mitleiden in sein Leben nicht integrieren will, wird auch niemals wissen, was echte Liebe ist, und »unter derart eingeschränkten Bedingungen«, so der Psychoanalytiker Arno Gruen, »verkümmern viele mögliche Ausprägungen des Menschseins.« In der Kindheit werden die Weichen für ein voll entfaltetes oder verkümmertes Menschsein gestellt. Hier passieren die Fehler, die dann unbewusst von Generation zu Generation weitergegeben werden. Die Auswirkungen sind verhängnisvoll, so Arno Gruen weiter: »Wenn du keinen Schmerz erlebst, wenn du weder den eigenen Schmerz noch den Schmerz im Anderen erleben kannst, dann hast du keine inneren Hindernisse. Menschen, die kein Mitgefühl haben, die keine Sensitivität haben für das Befinden anderer Menschen, für deren Schmerz, die sind am erfolgreichsten, denn ihnen steht nichts im Wege, keine Skrupel, kein schlechtes Gewissen, kein Scham- und Schuldgefühl. Sie können andere einfach beiseiteschieben. Sie lernen ganz früh, über die Gefühle anderer hinwegzuschreiten, denn diese sind gar nicht wichtig. Wichtig ist, stets der oder die Beste zu sein, sich rücksichtslos zu nehmen, was man will.«

»Mein Ort ist, wo Augen mich ansehen, wo sich die Augen treffen, entstehe ich«, schrieb Hilde Domin in einem Gedicht. Wenn der Mensch ein Antlitz erhält, wenn er zu einem Du wird, dann wird er im Auge des anderen zum Mit-Menschen. Und es wird schwerer sein, ihn zu missachten, an ihm vorbeizugehen, wenn er hungert. Und es verlangt viel Verrat an sich selbst und dem andern, wegzuschauen, wenn er leidet und misshandelt wird. Das Gute, das ein Mensch dem Menschen tut, das kehrt zu ihm selbst zurück. Mitgefühl tut gut. Auch der eigenen Seele, sagt der Gießener Psychoanalytiker und Sozialphilosoph Horst-Eberhard Richter: »Man fühlt sich ja mit sich selbst besser, man fühlt sich mehr mit sich im Reinen, wenn man gute Gefühle entwickelt, man hat mehr Genugtuung, wenn man sich beobachtet in einem sozial positiven Verhalten, wenn man hilft, auf andere eingeht, andere fördert, das ist das, was einen stärkt.«

(Quelle: Doris Weber, Mein Ort ist, wo Augen mich ansehen, in: Publik-Forum Nr. 6/2008)

„Einer der kostbarsten Schätze, die unserem Leben Sinn geben, ist Mitgefühl. Mitgefühl ist der Zwillingsbruder der Weisheit. Mitgefühl ist die Essenz aller Ethik. Überall auf der Welt hat es die Kulturen erfolgreich auf ihrem Weg durch die Geschichte geleitet. Auf dieser Basis muss die Politik der Zukunft gegründet werden. Denn ohne Mitgefühl gibt es kein gerechtes Recht, ohne Mitgefühl gibt es keinen Frieden. Wenn jedoch Liebe und Mitgefühl zu Leitsternen der Politik werden, würden deren Regeln golden werden.“ (Jonathan Granoff, * 1948)


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