Lebensader Bach

Nähern wir uns einem naturbelassenen Tieflandbach, müssen wir uns zuerst durch eine üppige Auenvegetation arbeiten. Große Bäume wie Weiden, Stieleichen und Feldahorn säumen unseren Weg; gemeinsam mit Sträuchern und Kräutern bieten sie zahlreichen Vögeln, Insekten und anderen Tieren Lebensraum. So sind wir von einer Symphonie verschiedenartigster Laute umgeben. Auch das Plätschern „unseres“ Baches können wir schon hören. Je mehr wir uns dem Bachbett nähern, umso mehr kommen wir in die Zone, die der starken Dynamik des Wassers ausgesetzt ist. Hochwasser, Überspülungen, Uferabbrüche und Auflandungen prägen hier den Charakter der Landschaft.

Diesen extremen Anforderungen können nur wenige Gehölzpflanzen widerstehen. Am Ufer „unseres“ Baches finden wir noch dichte Säume von Schwarzerlen und vereinzelte Eschen. Der Bach verlagert ständig sein Bett – er mäandriert. Dieser Prozess schafft ein Mosaik von unterschiedlichen Lebensräumen. So wechseln Zonen starker Strömung mit Stillwasserbereichen, Gleithänge mit Prallhängen, grobes Bodensubstrat mit feinen Ablagerungen. Und überall wimmelt es von Leben: Unter den Steinen des Gewässerbetts suchen Organismen wie Insektenlarven und Bachflohkrebse Schutz vor der reißenden Strömung, Larven anderer Insektenarten, Muscheln und Algenüberzüge trotzen der hohen Fließgeschwindigkeit und leben auf dem Bodensubstrat. Die Feuchtgebiete, die der Bach durch seine regelmäßigen Überschwemmungen schafft, bieten Amphibien Lebensraum. Wenn wir Glück haben, können wir einen Eisvogel bei seinem Jagdausflug beobachten.

Unser Bach ist leider ein Produkt der Phantasie! In unserer heutigen Umwelt hat ein solcher natürlicher, d.h. vom Menschen völlig unberührter Bach Seltenheitswert. Nur noch zehn Prozent aller Bäche in der Bundesrepublik sind in naturnahem, also weitgehend unbeeinflusstem Zustand…

(Aus: Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. 3/1986: „Rettet die Bäche“)

  • Film „Der Bach – Lebensadern der Landschaft“ von Jan Haft (2019)

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