Kapitel 37

 

 

RICHTIG LEBEN – HIER UND JETZT

DIE WELT-RELIGION JESU

BASISKURS BASILEIOLOGIE

 

 

Folgerungen, Konkretionen, Vertiefungen:

Sich die Welt anverwandeln

 

Gelobt seist du, mein Herr, für unsere Schwester Mutter Erde,
Die uns erhält und leitet
Und mannigfache Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.

Aus dem Sonnengesang des Franz von Assisi

 

„Meine Arbeit wäre“ – im Kommunismus – „freie Lebensäußerung, daher Genuß des Lebens.
Unter der Voraussetzung des Privateigentums ist sie
Lebensentäußrung,
denn ich arbeite,
um zu leben, um mir ein Mittel des Lebens zu verschaffen.“

Karl Marx, MEW 40, S. 463 (Hervorhebungen im Original)

 

Wir mögen ja unseren Spaß an Autos haben, aber für Mutter Natur
ist jedes einzelne Auto, das auf dem Planeten herumfährt, ein Dolchstoß ins Herz.
Autos weiterhin zu produzieren muss irgendwann zum Untergang unserer Art
und zur Zerstörung der Erde führen.

Dokumentarfilmer Michael Moore in seinem Artikel „Goodbye, GM!“
in der Frankfurter Rundschau vom 9. Juni 2009

 

Nature is not a place to visit, IT IS HOME.

 

 

Gut und richtig zu leben, so vermuten wir, das heißt für Jesus: am Reich Gottes teilzuhaben. Und diese Metapher wiederum signalisiert, dass es das wahre Leben ist, diejenige Existenzweise, die uns „selig“ sein lässt, und zwar hier und jetzt, voll und ganz. Und eben dies ist möglich – das ist seine Botschaft. Entscheidend dafür ist unser Weltbezug, dass wir nicht nur in, sondern mit der Welt existieren. Die ausdrücklich genannte ungewöhnlich große Menge Mehl in dem Gleichnis vom Sauerteig scheint darauf hinzudeuten, dass es hier genau darum geht: dass die Welt kein Fremdkörper bleiben muss, sondern zu Brot werden kann, zum Brot des Lebens.

 

Das alte Lied

Dabei galt die Welt in der Tradition des Christentums lange Zeit lediglich als Durchgangsstation zu einer anderen, jenseitigen Welt. Dort läge unsere wahre Heimat, diese Welt könne es niemals sein. In vielen Liedern, die auch heute gesungen werden, klingt diese Weltdistanz immer noch an. „Nun bitten wir den heiligen Geist / um den rechten Glauben allermeist. / Dass er uns behüte / an unserm Ende, / wenn wir heimfahrn aus diesem Elende. / Kyrieleis.“ Martin Luther greift mit diesen Versen eine Liedstrophe auf, die Berthold von Regensburg im 13. Jahrhundert in einer Predigt zitierte, und fügt dann weitere eigene hinzu. Jesus Christus habe uns „zum rechten Vaterland“ gebracht, heißt es dort und ganz ähnlich in seinem Lied „Gelobet seist du Jesu Christ“ aus dem Jahr 1524: „Der Sohn des Vaters, Gott von Art, / Ein Gast in der Welt hier ward, / Und führt uns aus dem Jammertal, / Macht uns zu Erben in seim Saal“. Der Theologe und Kirchenlieddichter Paul Gerhardt nimmt diesen Gedanken in der dritten Strophe seines bekannten Abendliedes „Nun ruhen alle Wälder“ wieder auf, das erstmals 1647 in einem Gesangbuch erschienen und dort mit dem Hinweis versehen worden ist, dass es auf die Melodie „O Welt, ich muss dich lassen“ zu singen sei: „Der Tag ist nun vergangen, / die güldnen Sternlein prangen / am blauen Himmelssaal; / also werd ich auch stehen, / wenn mich wird heißen gehen / mein Gott aus diesem Jammertal“. „Mir nach! spricht Christus unser Held, / mir nach, ihr Christen alle! / Verleugnet euch, verlasst die Welt, / folgt meinem Ruf und Schalle“, dichtete Angelus Silesius (Johann Scheffler) im Jahr 1668.

Diese so lange Zeit genährte Hoffnung auf eine andere, bessere Welt, in die wir nach unserem Tod gelangen und dort die ewige Seligkeit finden würden, hat das Verhältnis zu der einen Welt, in der wir leben, massiv beschädigt, hat uns wahrscheinlich nachhaltiger, als uns bewusst ist, von ihr entfremdet. Die Welt blieb das ungenießbare Mehl. Wirklich vertraut konnte und sollte man sich mit ihr nicht machen. Aber immerhin, so viel geht aus diesen Liedern denn doch hervor: Im Jenseits würde, zumindest denen, die das göttliche Gericht nicht zu fürchten brauchen, endlich zuteil, was offensichtlich alle Menschen ersehnen: wahre Freude und Wonne.

 

Das neue, das bessere Lied

Auch das Harfenmädchen in Heinrich Heines Poem „Deutschland. Ein Wintermärchen“ aus dem Jahr 1844 sang „vom irdischen Jammertal, / Von Freuden, die bald zerronnen, / Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt / Verklärt in ew’gen Wonnen.“ Nun aber stimmt Heine ein anderes Lied an: „Ein neues Lied, ein besseres Lied, / O Freunde, will ich euch dichten! / Wir wollen hier auf Erden schon / Das Himmelreich errichten.“ Ein gutes Leben für alle gelte es endlich, und zwar hier und jetzt, zu ermöglichen und sicherzustellen, denn: „Es wächst hienieden Brot genug / Für alle Menschenkinder“.

Ganz gewiss und ohne Abstriche: Ein gutes Leben für alle, auf dieser ganzen Erde! Um kein Wort, um keine Silbe, ja um keinen Buchstaben, um kein Jota (der kleinste Buchstabe des griechischen Alphabets) darf dieser Vorsatz eingeschränkt werden. Es ist der cantus firmus, die Grundmelodie dieses neuen, dieses besseren Liedes. Aber jetzt, bevor dieser Zustand erreicht ist? Ist die Welt nicht immer noch „Mehl“, auch wenn es jetzt bearbeitet wird? Erscheint sie uns nicht nach wie vor als durchwegs ungerecht, unvollkommen, letztlich auch weiterhin als ein „Jammertal“? Eine wirkliche Verbundenheit mit ihr kommt immer noch nicht auf. Gerade sie aber wäre das A und O eines guten Lebens, sofern es hier auf Erden schon möglich wäre. Genau davon aber singt

 

das beste und schönste Lied,

das Jesus mit seinem Gleichnis vom Sauerteig angestimmt hat. Es gibt diesen Sauerteig. Es kommt darauf an, ihn wirksam werden zu lassen. Diese Welt kann und soll uns zum Brot des Lebens werden. Die Entfremdung von der Welt kann überwunden werden. Wie das geschieht, wodurch dieser Prozess in Gang gebracht wird, erzählt das Gleichnis nicht, wohl aber, dass dergleichen geschieht, „bis es ganz durchsäuert war“. Jetzt nehmen wir wieder wahr: Wir gehören zur Welt, die Welt gehört zu uns, in einem ganz elementaren Sinn. Sie ist nicht mehr verbesserungsbedürftiges Objekt, sondern das Medium unseres Menschseins selbst. Sie ist zu „unserer“ Welt geworden. Wir sind, was wir sind, jetzt nur noch zusammen mit ihr und durch sie. Wir haben sie uns zu eigen gemacht, wir haben sie uns – in, laut Duden, „gehobener Sprache“, aber vielleicht noch treffender ausgedrückt – anverwandelt. Sie ist uns „auf den Leib gerückt“, und diese Zusammengehörigkeit macht jetzt unser Leben aus. Sub specie regni Dei, unter dem Gesichtspunkt des Reiches Gottes, als nun nicht mehr isolierte, abgeschottete Einzelpersonen, sondern als weltverbundene Menschen ist uns aufgegangen, dass gerade diese Anverwandlung, diese uneingeschränkte Verbundenheit mit der Welt uns wirklich leben lässt, richtig und gut. Das Reich Gottes finden wir nur hier, in und mit der Welt.

Allerdings begegnen wir der Welt, die jetzt trotz all ihrer Verletzungen, trotz all des Falschen, das in ihr und mit ihr geschieht, zu unserer Welt geworden ist, auf andere Weise als zuvor. Auch dies ist eine Wirkung des Sauerteigs, nur so kann sie zum Brot des Lebens werden. Wir verwandeln sie uns an, wie es auch Jesus getan hat. Im vorangehenden Kapitel ist davon ja bereits die Rede gewesen: Das Leben – ein Hochzeitsfest soll es sein, immer wieder, das Fasten hatte für ihn darin keinen Platz mehr. Der Sabbat – ein Festtag für die Menschen, kein Tag, um diesem Sinn zuwiderlaufende Vorschriften zu beachten. Die Menschen – unsere Geschwister, mit denen zusammen und für die wir da sind. Das sich jetzt als falsch Erweisende wird nun nicht mehr nachvollzogen. Die Welt, die man sich anverwandelt hat, lässt einem gar keine Wahl. Es gibt nun keinen Weg zurück. Wer das richtige, das gute Leben ergriffen hat, der lässt es nicht mehr los, den lässt es nicht mehr los.

Alle Menschen, für die die Welt zum Lebenselixier geworden ist, werden diese Verbundenheit jetzt leben. Die Welt ist für sie kein Jammertal mehr, sondern eine Quelle der Freude und sie werden es deshalb nicht mehr akzeptieren, wenn Menschen diese Quelle vergiften. Denn sie haben sich die Welt ja anverwandelt. Unauflöslich sind sie mit ihr von nun an verbunden. Dazu drei Beispiele – zum Thema Nahrungsmittel, zum Thema Arbeit und zum Thema Mobilität.

 

  • Lebens-Mittel

Bleiben wir zunächst beim Weizen, beim Brot, bei der Ernährung, bei den Nahrungsmitteln. Oder müssten wir besser sagen: bei den Produkten der Nahrungsmittelindustrie? Hier bei uns, im Globalen Norden, bauen wir sie weitestgehend nicht mehr selbst an, sondern sie werden uns als Waren, oftmals als Fertigprodukte angeboten und von uns konsumiert. Beim Einkauf richtet man sich gewöhnlich in erster Linie nach dem Preis, in zweiter vielleicht nach den eigenen Essgewohnheiten oder nach dem oft von der Werbung bestimmten Verhalten anderer – und erledigt das Essen und Trinken eher nebenbei („Coffee to go“), ist mit seinen Gedanken nicht nur manchmal ganz woanders.

Nun aber, im Reich-Gottes-Kontext, agieren wir als weltverbundene Menschen, kommt unsere „Erdebenbildlichkeit“ ins Spiel, wie es einmal jemand ausgedrückt hat. Uns wird klar, dass wir beim Essen und Trinken in einer ganz elementaren Weise mit der Erde kommunizieren. Sie nährt uns, mit ihr nehmen wir Verbindung auf, mit unserem ganzen Leib, nicht nur mit unserem Geist. Dann aber kann uns die Qualität unserer Nahrung nicht gleichgültig sein. Nicht verfälscht, belastet, durch Verarbeitung ihres Nährwerts beraubt sollen die Früchte der Erde sein, die wir zu uns nehmen, sondern möglichst schonend und biologisch gewonnen. Die Erde, das Wasser, die Luft dürfen nicht zu Schaden kommen. So wird aus einem fast beliebigen Produkt der Nahrungsmittelindustrie, das wir uns zwar zuführen und uns auch „schmeckt“ und sättigt, aber trotzdem ein Fremdkörper bleibt, ein ganz besonderes Lebens-, Genuss-, ja vielleicht sogar ein Heilmittel. Es bringt ja nun unsere Weltbeziehung in Fluss. Diese wieder wahrgenommene Verbindung mit der Erde gibt uns Kraft wie einst dem Riesen Antaios, den Sohn der Erde und des Wassers in der griechischen Mythologie, den Herakles nur besiegen konnte, indem er ihn hochhob, sodass er die Erde nicht mehr berühren konnte.

Und jetzt, wo wir das Nahrungsmittel nicht mehr wie eine Sache betrachten, wie einen Fremdkörper, sondern als Teil derselben Welt wahrnehmen, der auch wir angehören, kommt noch eine weitere Dimension in den Blick. „Wer einen Apfel isst, soll an den Menschen denken, der den Baum gepflanzt hat“, lautet ein Sprichwort. Die Lebensqualität all derer, die an der Bereitstellung unserer Nahrung beteiligt waren, kann uns jetzt nicht mehr gleichgültig sein. Wie oft wird auf ihre Gesundheit und ihre materiellen Bedürfnisse kaum Rücksicht genommen, wenn es nur um die Produktion von Konsumartikeln geht und darum, dass deren Vermarktung möglichst hohe Renditen abwirft. Jetzt aber wird uns – auch unseres eigenen Genusses wegen! – die faire Bezahlung dieser Menschen wichtig, und es spielt deswegen auch für uns eine Rolle, auf welche Art und Weise sie ihre Arbeit ausführen. Als angemessen entlohnte Mitarbeiter:innen einer ökologischen Landwirtschaft sollen sie durch ihre berufliche Tätigkeit Anerkennung und Wertschätzung erfahren und nicht zuletzt die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit im großen Zusammenhang der Welt verspüren.

 

  • Ehren-Amt

Damit haben wir schon eine weitere Strophe dieses besten und schönsten Liedes angestimmt. Denn dafür sollen und wollen wir jetzt auch selbst leben und arbeiten: nicht, um unseren Wohlstand zu mehren, sondern um mit genau unseren Fähigkeiten und Interessen die Lebensqualität anderer zu erhöhen – und damit zugleich unsere eigene. Arbeit ist nicht mehr Mittel zu dem Zweck, Eigentum und Privatvermögen anzuhäufen und damit als solche gleichgültig, mehr Job als Berufung, unbefriedigend, geschmacklos wie das Mehl. Jetzt, wenn unsere Tätigsein dem Wohl der Menschen dient und die Erde schützen und bewahren hilft, wird durch unsere Arbeit unser eigenes Leben bedeutsam und wichtig. Es erfüllt uns mit Freude und Zufriedenheit, genau dadurch in den Großen Zusammenhang eingebunden zu sein. Materielle Entlohnung und Karriereorientierung, also subjektive Faktoren, die diesen Zusammenhang ausblenden und vergessen lassen, erhöhen nicht, sondern mindern die Lebensqualität, die eine Tätigkeit bedeutet, die gerade nicht letztlich allein den eigenen Interessen dient, sondern dem Wohl der Welt. Jede auf diese Weise vom Gelderwerb zur Sinnstiftung transformierte Arbeit wäre ein Ehrenamt. Man arbeitet nicht, um dafür bezahlt zu werden, sondern um zu leben, seine eigene Existenz auszuleben, um das Leben und Zusammenleben zu gestalten und zu fördern, um die Welt zu schützen, zu pflegen und zu bewahren.

„Für das afrikanische Bewusstsein wird man gerade, indem man Gutes tut, zum vollwertigen Menschen. Durch das Wirken für andere erlangst du eine Seele. Je selbstischer, je selbstbezogener du bist, desto weniger bist du dir deiner Gemeinschaft bewusst, desto toter ist deine Seele. Dies kommt im Wortschatz einer der Eingeborenensprachen Südafrikas zum Ausdruck. Im Setswana gibt es zwei Wörter für ‚Arbeit‘: Das eine lautet bereka, das sich von werk aus dem Afrikaans herleitet. Es heißt soviel wie ‚möglichst wenig Arbeit für möglichst viel Geld‘. Das Wort dira hingegen ist ein vorkolonialer Begriff, der sich auf Arbeit bezieht, von der alle profitieren, Arbeiten, die die Gemeinschaft und ihre Ganzheit ernähren und stützen – zum Beispiel pflanzen, ernten, kochen, säen.“ (Antjie Krog, Afrikas Menschlichkeit. „Ich spreche und halte dein Herz, damit du verstehst, was ich dir sage“, in: Lettre International 83/2008, S. 122–125, Zitat S. 124)

 

  • schritt-weise

Tätigsein durchaus auch des eigenen Wohlbefindens willen erfordert Bewegung, Mobilität. Wir brauchen sie, sie tut uns gut, wir sind schon rein körperlich darauf angelegt. Säuglinge sind noch „Traglinge“, aber dann entwickeln sie sich zu Geher:innen und Läufer:innen. Es gibt Hilfsmittel, um voranzukommen, Wanderstäbe zum Beispiel oder das Fahrrad: Wir bewegen es mit eigener Kraft (meistens jedenfalls noch), der zur Herstellung erforderliche Materialaufwand hält sich in Grenzen. Beim Auto sieht es schon anders aus. Jetzt, nachdem wir unsere eigene Weltverbundenheit wiederentdeckt haben, bleibt es kein reiner Gebrauchsgegenstand. Passt es in die Welt, gehört es vielleicht sogar zu ihr wie ein gutes Nahrungsmittel, wie eine Mensch und Mitwelt dienliche Arbeit? Jedenfalls sind jetzt keinesfalls mehr die reine PS-Zahl, die Höchstgeschwindigkeit, die Anzahl der Sekunden, die erforderlich sind, um es von 0 auf 100 zu beschleunigen, vielleicht noch der Verbrauch, das heißt, die Benzin- oder Stromkosten von Interesse. Nun fragen wir uns zunächst einmal, ob wir es überhaupt brauchen, ob es uns guttut, es zu benutzen. Als Statussymbol benötigen wir es jedenfalls ganz sicher nicht mehr. Gern hätten wir aber jetzt in Erfahrung gebracht, unter welchen Umständen es hergestellt worden ist, woher die Rohstoffe stammen, aus denen es besteht, und unter welchen Bedingungen und mit welchen Folgen sie gewonnen wurden. Wir nehmen jetzt nicht mehr einfach zur Kenntnis, sondern sehen als weltverbundene Menschen, als „Erdmatriot:innen“ (Kapitel 17), welche Flächen eventuell abgeholzt, eingeebnet, jedenfalls mit Asphalt versiegelt worden sind, und können auch all die Menschen (und Tiere), die Jahr für Jahr von einem Auto verletzt oder getötet werden, nicht mehr einfach als „Kollateralschäden“ in Kauf nehmen. Wir fragen jetzt, woher die Energie stammt, die es antreibt. Die Schadstoffemissionen, die bei seinem Betrieb entstehen, belasten jetzt nicht nur das Klima, sondern uns selbst, ebenso die Frage, was aus dem Automaterial werden wird, wenn das Fahrzeug einmal nicht mehr funktionsfähig ist.

Damit haben wir die harte Karosserie des Autos aufgebrochen, es „verflüssigt“ und wieder mit seinen Mitwelt-Koordinaten versehen. Für diejenigen, die durch den „Sauerteig des Reiches Gottes“ ihre Verbundenheit mit ihrer Mitwelt wieder wahrnehmen, sind sie sichtbar geworden. Sie können jetzt nichts mehr als bloßes Objekt distanziert zur Kenntnis nehmen, als reinen Gebrauchsgegenstand betrachten und benutzen. Allein der Weltzusammenhang verleiht einem Produkt seinen Wert – oder gibt seine Weltunverträglichkeit und damit Fragwürdigkeit zu erkennen. Wie für das Auto gilt Entsprechendes natürlich auch für Flugzeuge, Kreuzfahrtschiffe und den Weltraumtourismus sowie für viele Gegenstände des täglichen Lebens, wie zum Beispiel Kleidung, Kommunikationsmittel wie etwa das Smartphone, Haushaltsgeräte, Spielzeug. Die Entfremdungen werden jetzt sichtbar und wollen überwunden werden. Was nicht anverwandelt werden kann, was der uns mit unserer Mitwelt verbindenden Gemeinsamkeit nicht entspricht, bleibt ein Fremdkörper. Wir werden es deshalb meiden und öffentlich in Frage stellen.

 

Und zwar sehr entschieden und glaubwürdig, getragen durch unsere eigene Lebenspraxis, geduldig und mit langem Atem, aber auch kompromisslos und nicht korrumpierbar. Die Anverwandlung der Welt hat sie geradezu in ein Heiligtum verwandelt. Dies äußert sich in der Freude am Genug, dem Genug für alle und in einem in jeder Hinsicht rücksichtsvollen, wertschätzenden Lebensstil. Konflikte werden unvermeidlich sein. Wenn es aber das richtige Leben ist, das, was unserem mitweltverbundenen Menschsein einzig entspricht, wird es nicht untergehen. Wie wir gesehen haben (Kapitel 14), muss auch Jesus davon zutiefst überzeugt gewesen sein: Der größte Teil der Aussaat geht auf. Und das, was dies bewirkt, ist eben jene Aussaat, mit anderen Worten: das richtig gelebte Leben.

Jesus hat es gelebt. Er stand dafür ein mit seiner ganzen Existenz – im wahrsten Sinn des Wortes. Die Konflikte blieben nicht aus. Denn natürlich wurden die, die noch den entfremdenden Lebensmustern folgen und ihren Lebensstil bislang für alternativlos hielten, stark verunsichert. Sie ahnen, dass allein ein weltverbundenes Leben unserem Menschsein wirklich entspricht. Sie können diese im Grunde nicht zu widerlegende, vielmehr unmittelbar einleuchtende, aus sich selbst heraus als echt, wahr und richtig erscheinende Einsicht nicht verdrängen. Und sie sind nicht in der Lage, sich dem ihnen (noch) so gefährlich erscheinenden Eindruck zu entziehen, dass diese Existenzweise jederzeit zum Selbstläufer werden, dass dieses schönste und beste Lied plötzlich im Munde sehr vieler Menschen sein könnte. Es muss auf sie provozierend wirken, wenn sie sehen, dass ein ganz anderes Leben nicht nur möglich, sondern offensichtlich auch sehr beglückend ist. Jeder Mensch, der richtig lebt, rüttelt allein damit an den Grundfesten des Falschen und unterminiert seine Macht. Jesus musste die Gegenwehr, auf die er mit seinem Leben und seiner Botschaft stieß, auf brutale Art und Weise erfahren: Er ist hingerichtet worden, und zwar von den Vertretern der römischen Besatzungsmacht. Alles spricht dafür, dass es seine Reich-Gottes-Existenz gewesen ist, die ihnen so gefährlich wurde, dass sie ihn wie alle, die sich ihrem System nicht mehr beugen wollten oder konnten – Widerstandskämpfer und Sklaven, die ihrer Ausbeutung durch Flucht zu entkommen suchten – ans Kreuz geschlagen haben.

Aber das beste und schönste Lied, das er angestimmt hat, ist nicht verstummt. Es erklingt immer wieder neu. So viele Menschen haben es weitergesungen und singen es bis heute, überall auf der Welt, das Lied von der Erde, die allen Menschen gehört, das Lied von der Welt, die genug hat für die Bedürfnisse eines jeden Menschen, das Lied von jedem Teil dieser Erde, der uns heilig ist. Unweigerlich hören wir seine Melodie, wenn der Sauerteig des Reiches Gottes das Ganze durchsäuert hat, wenn uns die Welt in einem neuen Licht erscheint.

Claus Petersen

Eine PDF-Datei dieses Kapitels finden Sie hier.


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