Exkurs 7

RICHTIG LEBEN – HIER UND JETZT

DIE WELT-RELIGION JESU

BASISKURS BASILEIOLOGIE

 

 

Zum Schicksal des entscheidenden Wörtchens „schon“ im Gleichnis von der Einladung zum großen Festmahl (Lukas 14,17b)

 

Noch immer gut bekannt und seit Jahrhunderten geläufig ist die Übersetzung des Verses 17b im Gleichnis Jesu von der Einladung zum großen Festmahl durch Martin Luther: „Kommt, denn es ist alles bereit!“ Bereits in der Erstausgabe seiner Übersetzung, die am 21. September 1522 unter dem Titel „Newes Testament Deutzsch“ erschien („Septembertestament“), heißt es: „kompt, denn es ist alles bereyt“. In der revidierten Fassung von 1984 waren diese Worte durch Fettdruck als Kernstelle, also als eine Aussage, die aus Luthers Sicht für das Verständnis der Bibel zentral ist, besonders hervorgehoben. Und in dieser Form sind sie auch in die Liturgie des Abendmahls eingegangen. Mit dem Satz: „Kommt, denn es ist alles bereit!“ wird die Gemeinde eingeladen, an den Altar zu treten, um dort Brot und Wein zu empfangen.

Grundlage der von Martin Luther auf der Wartburg vorgenommenen Übersetzung des Neuen Testaments war der griechische Urtext, der seit dem 1. März 1516 erstmals in Form einer von Erasmus von Rotterdam herausgegebenen kritisch annotierten griechisch-lateinischen Ausgabe vorlag (editio princeps). Für den griechischen Text der Evangelien stand ihm für die erste Auflage die Minuskel 2, die auf das 12./13. Jahrhundert datiert wird, zur Verfügung. Luther verwendete für seine Übersetzung die 1519 erschienene zweite Auflage jenes griechisch-lateinischen Neuen Testaments, für die Erasmus auch auf die Minuskel 3 aus dem 12. Jahrhundert zurückgegriffen hat. In der ersten wie in der zweiten Auflage lautet Lukas 14,17b gemäß diesen beiden Handschriften: érchesthe, hóti ädä hétoimá estin pánta „Kommt, denn es ist schon alles bereit!“ bzw., noch wortgetreuer übersetzt: „Kommt, denn schon bereit ist alles!“. In der Vulgata in der rechten Spalte der Ausgabe des Erasmus heißt es dementsprechend und ebenfalls mit dem „alles“ am Schluss: Venite, quia iam parata sunt omnia.

Wahrscheinlich hatte Luther den Eindruck, dass das durch die Stellung am Ende des Satzes besonders betonte „alles“ (pánta bzw. omnia) den entscheidenden Grund für die jetzt tatsächlich aktuell ausgesprochene und unmittelbar zu befolgende Einladung benennt. Dies könnte ihn veranlasst haben, das „schon“, das er in seiner griechischen (und lateinischen) Vorlage noch vorfand, kurzerhand zu streichen. Vielleicht empfand er den Vers in der ihm vorliegenden Form sprachlich auch als überladen. Jedenfalls sah er offensichtlich kein Problem darin, dem Einladungssatz auf diese Weise aus seiner Sicht mehr Klarheit und Aussagekraft zu verleihen. Jedenfalls hat sich diese von Martin Luther vorgenommene, den ihm vorliegenden „Urtext“ nicht wirklich voll und ganz ins Deutsche übertragene Wiedergabe durchgesetzt. Das unter den Tisch gefallene „schon“ stellte offensichtlich auch bei den zahlreichen vor 2016 vorgenommenen Revisionen der Lutherübersetzung kein schwerwiegendes und deshalb endlich zu behebendes Problem dar. Obwohl immer wieder zahlreiche Korrekturen vorgenommen worden sind, ist es ist es bei dem „Kommt, denn es ist alles bereit!“ immer geblieben.

Und zwar, obwohl inzwischen wesentlich ältere und gewichtigere Handschriften des Neuen Testaments entdeckt worden bzw. ans Licht gekommen sind als die von Erasmus verwendeten Minuskeln. Im Codex Vaticanus, der neben dem Codex Sinaiticus wichtigsten, qualitativ bedeutsamsten Handschrift des Neuen Testaments aus dem 4. Jahrhundert n. d. Z. – sie ist erst Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlicht worden –, lautet die Einladung nämlich: „Kommt, denn es ist schon bereit!“ Der Codex Sinaiticus aus dem 4. und der Papyrus 75 aus dem 3. Jahrhundert n. d. Z. überliefern den Text in nahezu identischem Wortlaut (dort findet sich lediglich statt des singularischen „ist“ [estin] die Pluralform „sind“ [eisin], doch ist dies inhaltlich belanglos). In der altlateinischen Übersetzung, der Vetus Latina bzw. Itala, lautet der Vers entsprechend (Venite, iam paratum est). Und so dürfte der Satz in der ältesten bzw. ursprünglichen Fassung des Gleichnisses von der Einladung zum großen Festmahl denn auch mit hoher Wahrscheinlichkeit ursprünglich gelautet haben. Entsprechend lautet der betreffende Text denn auch seit der von Eberhard Nestle 1898 vorgelegten ersten Ausgabe des Novum Testamentum Graece bis zur jüngsten 28. Auflage durchgängig érchesthe hóti ädä hétoimá estin, („Kommt, denn es ist schon bereit!“)

Was ist geschehen? Offensichtlich hat einer von denen, die den griechischen Text dieses Gleichnisses abgeschrieben haben, an den Wortlaut der Einladung, die er in seiner Textvorlage vorfand, ein „alles“ angehängt. Die fundamentale Bedeutung gerade des „schon“ dürfte er bereits nicht mehr verstanden und angenommen haben, der Grund für die nun tatsächlich erfolgende Einladung könne nur darin bestehen, dass jetzt tatsächlich „alles“ für das große Festmahl vorbereitet worden sei. Dies hatte dann allerdings die fatale Folge, dass jetzt gerade auf diesem letzten, später hinzugefügten Wort der Ton zu liegen beginnt und nicht mehr auf dem zwar noch tradierten, aber nun durch das angehängte „alles“ relativierten „schon“.

Martin Luther hätte, wenn diese Annahme zutrifft, also tatsächlich richtig erkannt, dass der Vers in der ihm vorliegenden Form sprachlich überladen ist. Aber eben nicht das von ihm als letztlich überflüssig empfundene „schon“ ist dafür verantwortlich, sondern das im Laufe der Textüberlieferung hinzugefügte „alles“. Und so folgte schließlich – und zwar durch Martin Luther – auf die Relativierung des „schon“ durch das angehängte „alles“ seine Eliminierung. Dabei ist es doch gerade das „schon“ gewesen, das die zuerst Eingeladenen derart irritiert hat, dass sie sich „ohne Ausnahme“ gezwungen sahen, die Einladung auszuschlagen.

Wie gesagt: Seit dem 21. September 1522 war das ursprüngliche, Martin Luther in seinen griechischen Vorlagen noch vorhandene „schon“ in seiner Übersetzung unsichtbar geworden und ist auch in den 1892, 1912, 1975 und 1984 erschienenen Revisionen nicht wieder ans Licht gekommen, und das, obwohl inzwischen der ältere Text (längst) bekannt und kein Zweifel möglich war, dass es sich dabei um die ursprünglichere Textgestalt handelt . Auch in allen neueren deutschen Übersetzungen ist es – bedingt vermutlich durch das Gewicht der Lutherübersetzung in ihrer bisherigen Gestalt – (fast) völlig verschwunden. Allein die Zürcher Bibel (2006) gibt wenigstens den sekundär erweiterten Text korrekt wieder: „Kommt, alles ist schon bereit!“ In allen anderen aktuell gebräuchlichen deutschen Bibelübersetzungen wird das in der griechischen Ausgabe des Neuen Testaments längst wieder enthaltene „schon“ übergangen bzw. durch ein – inadäquates – „jetzt“ oder „nun“ ersetzt und das sekundäre „alles“ oftmals beibehalten:

      • „Kommt, jetzt ist alles bereit!“ (Basisbibel)
      • „Kommt! Alles ist hergerichtet!“ (Gute Nachricht, 1997)
      • „Kommt, alles ist bereit!“ (Neue Genfer Übersetzung, 2010, 10. Auflage)
      • „Kommt, denn es ist nun bereit!“ (Jerusalemer Bibel, 1968)
      • „Kommt, denn jetzt ist es bereit!“ (Bibel in gerechter Sprache, 2006)
      • „Ihr könnt jetzt kommen! Alles ist fertig!“ (Volxbibel, 2005)
      • „Kommt, alles ist bereit!“ (Einheitsübersetzung 2016)

Erst die am 30. Oktober 2016 zum Auftakt des Reformationsjubiläumsjahres in Eisenach eingeführte „Lutherbibel 2017“ gibt jenen Vers dem Original und damit der Intention Jesu entsprechend unverstellt und korrekt wieder! Obwohl die wichtigste Aufgabe des Projekts „Lutherbibel 2017“ zwar darin bestand, den Text so streng wie möglich am Urtext auszurichten, sollte gleichwohl so viel Luther wie möglich zu Gehör gebracht und darüber hinaus die liturgische Brauchbarkeit stets im Auge behalten werden. Je tiefer ein Text im Gedächtnis der Gemeinde verankert sei (immerhin stellt Lukas 14,17b einen Bestandteil der Abendmahlsliturgie dar), desto weniger dürfe er geändert werden. Gleichwohl lauten die entsprechenden Worte jetzt dem Urtext und in gerade in diesem Fall vor allem dem entscheidenden Neuansatz der Botschaft Jesu gemäß: „Kommt, denn es ist schon bereit!“.

Nicht dem Bekanntheitsgrad, dem Eingang gerade dieses Verses in das „kirchliche Gedächtnis“, sondern – und glücklicherweise gerade an dieser so bedeutsamen Stelle – dem griechischen Wortlaut wurde der Vorrang eingeräumt. Endlich – nach fast 500 Jahren – wird der Satz in einer deutschen Übersetzung in der Weise wiedergegeben, wie Jesus ihn ursprünglich gemeint hat: als die – damals wie sicherlich noch heute für viele ganz unbegreifliche und oftmals tragischerweise nicht annehmbare – Einladung, mit seiner gesamten Existenz am Reich Gottes teilzuhaben, das heißt, richtig zu leben, in Verbundenheit mit den Menschen und mit der Welt, und diese Existenzweise zu feiern, und zwar hier und jetzt, sofort, eben: schon!

Claus Petersen

Eine PDF-Datei dieses Exkurses finden Sie hier.


RSS