Hat Beten noch einen Sinn?

Predigt von Pfr. Kuno Hauck über Lukas 18,1-8, gehalten am 11.November 2007 in Nürnberg-Mögeldorf

 

[1] Er sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten, [2] und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. [3] Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! [4] Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, [5] will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage. [6] Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt! [7] Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er’s bei ihnen lange hinziehen? [8] Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden.

Liebe Gemeinde,

der emeritierte anglikanische Bischof John Shelby Spong aus den USA, erzählt in seinem letzten 2006 erschienen Buch folgende Geschichte, die sich an einer Christlichen Bibelschule ereignet hat.

Eine junge Studentin war an einer bakteriellen Hirnhautentzündung erkrankt und es sollten der begeisterten Basketballspielerin beide Beine unterhalb der Knie amputiert werden. Als dieses die anderen Mitstudierenden hörten organisierten sie sofort 24 stündige Gebetsketten, so dass zu jeder Tages- und Nachtzeit, rund um die Uhr, für die junge Frau gebetet wurde.

Ihre Zuversicht gründeten sie dabei auf Bibeltexte wie 1. Thessalonicher 5,17 „Betet ohne Unterlass“ oder Matthäus 7,7 „Bittet so wird euch gegeben“. Auch unser Bibelwort, in dem davon gesprochen wird „Tag und Nacht“ zu Gott zu rufen, wird ihre Zuversicht genährt haben.

Trotz aller Gebete schritt die Krankheit jedoch unbarmherzig fort und der 18-jährigen Studentin mussten bei Beine abgenommen werden.

Liebe Gemeinde, der heutige Bibeltext führt unweigerlich zu der Frage: Was bedeutet das Gebet? Zu wem beten wir? Und wie wirkt das Gebet?

Jeder von uns hat Erfahrungen mit dem Gebet. Denken wir z.B. nur das Stoßgebet vor einer Schulaufgabe: „Lieber Gott hilf mir“ oder die Bitte um Heilung eines kranken Familienmitgliedes.

In der Regel beten wir zu Gott in der Hoffnung etwas beeinflussen zu können, das wir selbst nicht ändern können. Gott soll da eingreifen, wo wir an unsere Grenzen stoßen, wo wir selbst zu schwach sind, etwas zu verändern, oder vielleicht wo wir selbst zu Opfern geworden sind oder uns Unrecht getan wurde.

Auch in unserem Bibelwort wird von einem Menschen berichtet, dem Unrecht getan wurde. Wir wissen nicht genau was, aber es war so gravierend, dass die Witwe, von der erzählt wird, verzweifelt und sicher auch ihr Überleben bedroht war. Sie lässt aber nicht locker, nervt und bedrängt den zuständigen Richter so sehr, dass er sich gezwungen sieht für die Witwe und gegen ihre Widersacher Partei zu ergreifen.

Was sagt uns nun dieses Bibelwort?

Als Kind und Jugendlicher habe ich auch daran geglaubt, dass ich Gott zu meinen Gunsten oder zu meinem Wohl oder zum Wohl anderer umstimmen kann. Ich habe ähnliche Beispiele wie das oben beschriebene erlebt, wenn auch Gott sei Dank nicht so dramatisch. So meine ich, dass wir die Vorstellung korrigieren müssen, dass Gott auf unsere Gebete reagiert und in unserer Welt eingreift.

Das Gebet zu einer Gottheit ist so alt, wie der Mensch in seiner über 100.000 Jahre alten Entwicklung ein Bewusstsein erlangt hat und die Fähigkeit entwickelte, über sich selbst nachzudenken.

Das Wissen um die eigene Vergänglichkeit und die Angst vor dem Tod, das uns vom Tier unterscheidet, hat dazu geführt, dass der Mensch begonnen hat, übernatürliche Hilfe und Schutz für sein Leben im Gebet zu erbitten. Manchmal auch mit sehr drastischen Methoden, bis hin zum Menschenopfer.

Diese magischen, mythologischen Vorstellungen stecken noch tief in uns allen und brechen aus uns vor allem dann heraus, wenn wir in Angst sind. Heißt nicht das Sprichwort: „Not lehrt beten“ und selbst die draufgängerischsten Soldaten haben im Schützengraben und im Kugelhagen plötzlich das Gebet wieder gefunden.

Liebe Gemeinde, bei der Frage, nach der Bedeutung des Gebetes dürfen wir uns nicht von magischen Vorstellungen leiten lassen. Diese führen dann im entscheidenden Fall in die Sackgasse, wie in der geschilderte Geschichte der Studentin. Nach der Amputation durchlebten viele der Jugendlichen, die für ihre erkrankte Mit-Studentin gebetet hatte, in eine schwere Glaubenskrise.

Wenn nun Gott nicht auf unsere Gebete reagiert und in unserer Welt eingreift, hat es dann überhaupt noch einen Sinn zu beten?

Dazu kann ich nur Ja! Sagen und ich glaube auch, dass Gebete die Welt verändern.

Erstens glaube ich, dass wer betet mit seinem Gebet deutlich zum Ausdruck bringt, dass er sich mit der Wirklichkeit nicht einfach abfindet. Wer betet glaubt, dass die Welt in der wir leben gestaltet und verändert werden kann.

Das ist ja letztlich auch der Grund, warum wir jeden Gottesdienst mit Fürbitten beschließen. Fürbitten bedeuten ja nicht, wir sagen jetzt Gott, was er in dieser Welt tun muss und warten dann darauf, dass er etwas ändert. Das wäre ja fatal.

Das Gebet, die Fürbitte entlässt uns nicht aus der Verantwortung, im Gegenteil. Indem wir für andere beten, werden wir in die Pflicht genommen, uns für die Verwirklichung unserer Gebete einzusetzen. In diesem Sinne sagt auch das Bibelwort heute zu uns: dass wir „allezeit beten und nicht nachlassen sollten“.

Zweitens glaube ich, dass das Gebet dem Menschen einfach gut tut. Denn wer betet, der kommt zu sich selbst, der nimmt sich Zeit über sein Leben nachzudenken. Im Gespräch mit Gott spricht er laut aus, was ihn bewegt. Er denkt an Gott und prüft seine Gedanken und sein Handeln, ob es vor Gott recht ist. Gebet kann auch klagen oder weinen sein. Es tut uns einfach gut, wenn wir auch fähig sind, vor uns selbst unsere Probleme oder Schwächen einzugestehen.

So schreibt Mechthild von Magdeburg, Mystikerin im 13. Jahrhundert: „Das Gebet, das Mensch mit aller seiner Kraft leistet, hat eine große Kraft. Es macht ein sauer Herz süß, ein traurig Herz froh, ein armes Herz reich, ein dummes Herz weise, ein ängstliches kühn, ein krankes Herz stark und ein blindes Herz sehend und eine kalte Seele brennend…“

Ein Gebet in diesem Sinne muss nicht lautes und ständiges Reden mit Gott sein. Solches Gebet kann auch einfach in der Stille verharren, Meditation. Beten kann aber auch Tanz sein oder singen. Jeder und jede muss seinen Weg des Gebetes finden, der ihm selbst etwas gibt. Wer abends gern vor seinem Bett kniet und spürt, dass es ihm hilft seine Gedanken zu ordnen, der soll es beibehalten. Andere gehen zum beten vielleicht gerne in eine leere Kirche oder sie fühlen sich Gott nahe bei einem abendlichen Spaziergang.

Drittes glaube ich, dass wer in Gemeinschaft betet, Anteilnahme, Orientierung und Solidarität erfahren kann. Wenn ich vor anderen laut aussprechen kann, was mich im Innersten bewegt, und dies auf Gegenseitigkeit beruht, dann schaffe ich eine Atmosphäre der Anteilnahme und erlebe: „geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude.

Auch kann es mir helfen, wenn ich erfahre, wie der oder die andere seine Fragen und Sorgen, seine Freude und seinen Dank vor Gott bringt.

Und viertes und letztens glaube ich, wer betet, weiß, dass er Gott an seiner Seite hat. Wer betet ist nie alleine, auch wenn niemand bei ihm ist. So wie es Dietrich Bonhoeffer einmal in einem Gebet ausgedrückt hat: „In mir ist es finster aber bei dir ist das Licht, ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht“.

Das Wissen, das Gott an meiner Seite ist, entwickelt im Menschen immer wieder ungeahnte Kräfte.

In diesem Sinne ist Beten eine Wunderwaffe gegen Resignation und Hoffnungslosigkeit.

Amen

 


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