Hans-Ulrich Oberländer, Reich Gottes hier und jetzt als Heilserwartung?

Wir wissen jetzt, 2000 Jahre danach, dass Jesus als ungewollter Gründer des Christentums mit der Naherwartung des Reiches Gottes offensichtlich irrte. Er glaubte, dass dieses Reich ohne jegliches Zutun der Menschen – quasi apokalyptisch – hereinbrechen würde. Doch war er überzeugt, dass der ihm vertraute „Abba“-Gott alle Menschen liebt, nicht nur Juden – auch Heiden, Sünder, Frevler, Fanatiker…

Fester Bestandteil tradierten christlichen Glaubens ist die als „Parusie“ bekannte Wiederkunft Jesu als Weltenherrscher in Herrlichkeit mit dem „Reich Gottes als Geschenk. Ist es nicht nahe liegender, von einem völlig anderen Glaubensverständ­nis als hochwahrscheinlichen Teil SEINES Schöpfungsplanes auszugehen:

Jesu Botschaft vom Reich Gottes als Heilserwartung im hier und jetzt, verwirklicht durch unser Mittun als individueller Lebensstil. Mit Einsetzen des industriellen Zeitalters nahm der Frevel an der Schöpfung so zu, dass inzwischen das Überleben der Menschheit als Ganzes in Frage gestellt wird. Das Problem spitzte sich mit dem Spätkapitalismus, speku­lativer Gewinnmaximierung, Infantilisierung zu Konkurrenten, Konsumenten mit einher­gehender Entsolidarisierung zur Gesellschafts- und Sinnkrise zu. Dieser kulturelle Nieder­gang wird begleitet durch zunehmendes Versagen der für das gedeihliche Zusammenleben zuständigen Staatswesen.

Schöpfungsrettende Lebensstile beschränken sich nicht auf begrenzten Konsum und Vegetarismus, sondern bestehen vor allem in politischer Einflussnahme – bis hin zu zivilem Ungehorsam und wenn notwendig, an der aktiven Beteiligung revolutionär-gewaltfreier Transformation der Gesellschaft. Diese „dritte Gesellschaft“ ist zukunftsfähig und könnte als Verantwortungsgesell­schaft in die Geschichte eingehen. Die Menschen lernen, verantwortet mit ihren individuellen Freiheiten umzugehen. In ihr „herrschen“: Schöpfungspflege, dauer­hafter Frieden, Gerechtigkeit, strukturelle Herrschaftsfreiheit, Solidarität. Jedem Mitbürger, auch dem Schwächsten, ist ein menschenwürdiges Dasein garantiert. Diese Gesellschaft dürfte die Verheißung vom Reich Gottes als Paradies auf Erden erfüllen.

Zur „Materialisierung“ eines als „Potentialität“ angelegten geistigen Zustandes braucht es spirituell oder humanistisch orientierte Menschen, die das Zitat von Albert Schweitzer umsetzen: „Die Weltanschauung der Ehrfurcht vor dem Leben hat [über][1]religiösen Charakter. Wer sich zu ihr bekennt und sie vorlebt, ist auf elementare Weise fromm.“ 

 

Auf dieser Ebene kultureller Reifung[2] bestünde die Chance der dringend gebotenen Umkehr zur Zukunftsfähigkeit. Notwendiger erster Schritt hierbei: Dialog und Versöhnung der Weltreligionen, Abkehr von Traditionalismus und Fundamentalismus, Einbeziehung von Agnostikern[3]. Bei der gemeinsamen Meisterung dieser „Mammutaufgabe“, gleichzeitig Abwehr drohender Vernichtung der Zivilisation, drängt die Zeit. Hierbei wird jede Hand und jeder Kopf gebraucht.

 

Mein Credo-Vaterunser – Als Geist und du, Mutter und Vater, diesseits wie im Transzendenten uns in Liebe, Güte und Geduld zugetan, heilig ist dein Schöpfungs­plan mit geistiger Evolution zu Mitgefühl, Geschwisterlichkeit und höchster Reife. Dein Reich entfaltet sich hier und jetzt in Fülle, dein Wille verhilft uns zu schöpfungsbewahrendem Tun durch verantworteten Umgang mit den eigenen Freiheiten. Die Grundbedürfnisse gibst du uns heute und morgen unseren Enkeln. Du vergibst uns unsere Schuld, wie auch wir lernen zu vergeben und zu versöhnen. Du stärkst uns, der Versuchung zum Bösen zu widerstehen. Denn dein ist die Wahrheit, die Sanftmacht, die Schöpfungsherrlichkeit – erhielt jüngst den Zusatz: Weil ich das so glaube, bin ich zuversichtlich, dass die Menschheit mit deiner Hilfe aus Ehrfurcht vor dem Leben zur Zukunftsfähigkeit reift. Amen.

 

Hans-Ulrich Oberländer, Text für Creativcafé zur Jubiläumstagung der Ökumenischen Initiative Reich Gottes  jetzt! in Stein bei Nürnberg im Juli 2012



[1] Ermöglicht die Einbeziehung „humanistischer Atheisten“; siehe Robert Misik: „Gott behüte! Warum wir die Religion aus der Politik heraushalten müssen“; Wien 2008

[2] In „Gott 9.0 – Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird“, Gütersloh 2010, wird verdeutlicht, dass sich die Menschheitsentwicklung in Bewusstseinsstufen vollzog und noch nicht abgeschlossen ist.

[3] Siehe Buchrezension Hans-Peter Dürr: „Das Lebende lebendiger werden lassen“; H. Oberländer „Verantwortung“ Nr. 49/2012


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