Markus 4,30-32; Matthäus 13,31f. / Lukas 13,18f.

Das Gleichnis ist in zwei unterschiedlichen Fassungen überliefert. Die eine liegt im Markusevangelium vor, die andere in der Logienquelle, die ‚Lukas‘ in der ursprünglicheren Form überliefert hat, während ‚Matthäus‘ beide Traditionen kombiniert. Welche davon älter bzw. ursprünglicher ist, lässt sich nicht mehr sagen.

Die Geschichte erzählt, wie aus einem winzig kleinen Senfkorn[1] – es ist nur einen Millimeter groß und wiegt nur ein Milligramm – Schritt für Schritt (Aussaat, Wachstum, voll ausgebildete Pflanze) eine große Staude heranwächst. Am See Genezaret erreicht sie eine Höhe von zweieinhalb bis drei Metern. Jesus dürfte gerade dieses Beispiel ausgewählt haben, weil hier der Wachstumsprozess besonders augenfällig ist und gut beobachtet werden kann. Er wird denn auch genau beschrieben: Das Senfkorn „wächst“, es „wird größer“, es „bildet große Zweige“. –

Das Gleichnis bezieht sich möglicherweise nicht auf ein objektives Geschehen, das unabhängig vom Hörer sich ereignet, sondern spricht von einer neu erfahrenen Welt, in der die an ihm Beteiligten anders leben und denken. Mit dem Säen ist die Welt des praktischen Handelns, der Daseinsvorsorge, die Objektwelt angesprochen. Die Dinge, die ich wie den Samen mit Bewusstsein und Absicht in die Hand nehme, um das zum Leben Nötige zu bekommen, öffnen sich auf die Dimension des Reiches Gottes hin. Die Metamorphose des winzigen Samens zum großen Baum ist das Prinzip der Existenz darin. Die notwendige Nahrung, die wir brauchen, stellt eine Beziehung her mit der notwendigen Nahrung aller Menschen dieser Erde und mit dem Leben der Tiere. Mit den Vögeln des Himmels in den Zweigen des groß gewordenen Baumes treten wir in Verbindung mit dem Universum des Lebendigen, das sich auftut, sobald wir ein so kleines Ding wie das Senfkorn in die Hand nehmen und es zur Entfaltung kommen lassen.


[1] „Die geringfügigste Quantität pflegte man mit der Größe eines Senfkornes zu bezeichnen“ (H. L. Strack, P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch I, München 1922, 669 mit Belegen).


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