Lukas 10,18
Die Feststellung, dass der Satan bereits aus dem Himmel gestürzt sei, ist singulär. Sowohl im zeitgenössischen Judentum als auch später in der frühen Kirche war der Sieg über ihn bzw. seine Unterwerfung ein Ereignis, das man erst in der Zukunft erwartete (so Paulus in Römer 16,20; vgl. auch Apokalypse 12,7-9). Vielleicht schildert Jesus mit diesem Satz ein visionäres Erlebnis, das ihn in seiner Gewissheit bestätigt hat, dass der Reich-Gottes-Charakter der Welt durch keine ihm entgegengesetzte Kraft konterkariert werden kann, oder er bedient sich lediglich visionärer bzw. mythologischer Metaphorik.
„Für die Authentizität dieses Logions spricht seine Querständigkeit zur urchristlichen Überzeugung, wonach der Sieg über den Satan erst durch Kreuz und Auferweckung Jesu erfolgt sei (Joh 12,31; 16,11; Offb 12,5). In ihm kommt jedoch gerade die Gewissheit Jesu zum Ausdruck, die entscheidende Wende, nämlich den Satanssturz aus den Himmeln, bereits im Rücken zu haben.“ (Jürgen Roloff, Jesus, Verlag C.H.Beck, München 2007, 4. Auflage, 73.)
Gleichwohl bleibt die Gegenwart für Roloff indifferent. Sie rückt zwar „in ein anderes Licht“ ebd.), doch die Gottesherrschaft ist letztlich doch eine zukünftige Größe. So heißt es praktisch im unmittelbaren Anschluss an obige Exegese: „Sie (die Gegenwart; C.P.) ist…offen für die Herrschaft Gottes und bietet ihr Raum für ihr Wachstum und ihre Entfaltung auf Zukunft hin“. „Jesus sah seinen Auftrag darin, den Menschen die Möglichkeit zu geben, jetzt schon die andringende heilvolle Nähe der Gottesherrschaft zu erfahren und sich durch sie verändern zu lassen.“ „In seiner Person griff die Gottesherrschaft, Zukunft vorwegnehmend, bereits in die Gegenwart ein.“ (74). „Zwar finde sich die Grundstruktur apokalyptischer Naherwartung auch bei Jesus“ (als Belege werden Markus 9,1; 13,30, die Bitte um das Kommen der Gottesherrschaft im Vaterunser und die Seligpreisungen nach Q genannt, in denen „die Gottesherrschaft mit ihren Heilsgaben ebenfalls als etwas bald Kommendes erscheint“). „Aber diese Naherwartung ist entspannt; das lodernde apokalyptische Feuer ist zu einer stillen Glut zurückgenommen, ohne freilich ganz erloschen zu sein.“ (75)

