„Das volck wird frey seyn!“ Thomas Müntzers „vergessene Reformation“

„Das volck wird frey seyn!“

Thomas Müntzers „vergessene Reformation“

von Andreas Kückmann und Claudia Huml

 

Wer war dieser Mann, dessen Theologietreiben noch heute für linke TheologInnen interessant ist und Anknüpfungspunkte für Denken und Handeln gibt? Diese schillernde Persönlichkeit wurde in den letzten 500 Jahren als Ketzer, Aufrührer und Revolutionär interpretiert.

Da ist kein Bild von Thomas Müntzer. Sein wahres Aussehen ist heute nicht mehr bekannt. Erst 80 Jahre nach seinem Tod tauchte das Porträt des Niederländers Christoph van Sichem auf, ein Fantasiebild für eine Ketzerchronik.

Müntzer, 1489 im thüringschen Stolberg geboren, absolvierte eine solide akademische Ausbildung als Theologe und Priester. Er arbeitete als Prediger und Seelsorger in ganz Deutschland. Dabei geriet er mit seinen Vorstellungen und seiner Theologie zunehmend in Konflikt mit der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit. Müntzer sah das Christentum auf dem Weg in eine neue Epoche der Gerechtigkeit und Freiheit. Zu Beginn seines Wirkens noch eng an der Wittenberger Theologie orientiert, entfernte er sich im Laufe seines Lebens immer mehr von ihr. 1523 kam er als Pfarrer nach Allstedt, wo er eine Gemeinde nach dem Vorbild der Urkirche aufbauen wollte. Müntzer, der in der Feier des Gottesdienstes eine religionspädagogische Möglichkeit sah, das Volk zu bilden, formulierte als erster Theologe der Reformationszeit eine Neuordnung des Gottesdienstes.

Am 13. Juli 1524 übernachtete eine Gesandtschaft der Landesherren im Allstedter Schloss. Müntzer ergriff die Gelegenheit um sie mit deutlichen Worten an ihre Verantwortung für das Volk zu erinnern. In dieser heute noch bekannten „Fürstenpredigt“, die ohne einen gottesdienstlichen Anlass stattfand, stellt Müntzer den Zerfall der Christenheit dar. Er übt dabei Kritik an der gegenwärtigen Kirche und schließt auch die aus seiner Sicht mangelhaften Reformen der Wittenberger Theologen mit ein. Angelehnt an das Buch Daniel, erläutert er die Abfolge der vier Reiche im Traum Nebukadnezars und erweitert es um das fünfte Reich, das gegenwärtige Heilige Römische Reich deutscher Nation. Dieses sei am Ende, denn Gott wolle wieder seine ursprüngliche Ordnung herstellen. Die unfähigen Wahrsager des Königs werden mit dem Klerus verglichen, der den Machthabern den falschen Glauben predigt und doch nur seinen Wohlnissen stand sichern will. Er fordert die Fürsten auf, sich nicht von den „Pfaffen und allen bösen Geistlichen beschwatzen“ zu lassen.

 

„Am volck zcweifel ich nicht“

Vor diesem Hintergrund kritisierte er die sozialen und politischen Missstände. War Müntzer noch zu Beginn überzeugt, die Fürsten für seine Sache gewinnen zu können, stellte er sich im Lauf der Geschehnisse ganz auf die Seite des ausgebeuteten Volkes. Das Reich Gottes soll geschichtsimmanent durch die Kinder Gottes herbeigeführt werden. Geprägt von spätmittelalterlichen Mystikern, wie Johannes Tauler und Heinrich Seuse, orientiert sich für ihn der wahre Glaube am Leidensweg Jesu Christi. Diese Nachfolge des „bitteren Christus“ bedeutete für Müntzer konkret die Rebellion gegen die weltliche Obrigkeit. Dabei beginnt der Widerstand zuerst mit einer Veränderung des Menschen im Inneren, indem die Kreaturenfurcht, die Angst vor allem von Menschen Geschaffenen, überwunden wird. Indem der Mensch sein Verhältnis zur Welt verändert, verlieren die gesellschaftlichen Verhältnisse ihren angsteinflößenden und ausbeuterischen Charakter. Es entsteht aus dem Innersten des Menschen eine andere Welt. Das Reich Gottes bricht damit in allen Auserwählten an. Die Auserwählten sind nicht die Herrschenden, sondern jene, die in der Lage sind, den Geist Gottes im Inneren zu erfassen. Er verbindet die mystische Denkweise so mit einer apokalyptischen Vision, in der die persönlich-innere Erneuerung des Menschen und die Veränderung der Verhältnisse zusammengehören.

Müntzer nimmt dabei die Perspektive der Menschen ein, die unter den Verhältnissen leiden. All sein Predigen, Schreiben und Arbeiten in der Gemeinde zielte darauf, das gemeine Volk zu befähigen, sich aus feudaler Unterdrückung zu befreien.

 

War sein Kampf umsonst?

Vor der großen Schlacht im Mai 1525 appellierte er in einem mitreißenden Aufruf an die Aufständischen die große eschatologische Wende herbeizuführen. In Frankenhausen wurde das Heer der Aufständischen brutal niedergeschlagen. Müntzer floh, wurde aber später gefangen und am 27. Mai 1525 vor den Toren der Stadt Mühlhausen hingerichtet.

Müntzer sprach den Bauern durch seine Theologie grundlegend die Legitimation zu, die bestehenden Verhältnisse zu verändern. Als einer der Ersten begriff er damit Geschichte als veränderbar. Gegenwärtig gibt es zwar keine feudale Gesellschaft, wohl aber den Kapitalismus mit seiner Teilung der Welt in Unterdrücker und Unterdrückte. Auch heute noch geht es darum, diese Grausamkeiten endlich zu beenden.

 

Zitiert mit freundlicher Genehmigung aus dem Rundbrief Nr. 47 des Instituts für Theologie und Politik (ITP) vom November 2017


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